Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
darauf gekommen waren, redeten wir bald über Musik.
    Auch nach einer Stunde wusste ich noch immer weder ihren Namen noch, was sie von mir wollte. Manchmal, wenn ich etwas sagte, was ihr gefiel, lächelte sie wieder ihr zufriedenes Lehrerinnenlächeln. Als hätte ich einmal mehr bestätigt, dass sie sich nicht getäuscht hatte in mir.
    Sie hatte große Augen in einem fast reinen Grün, die sehr ernst blicken konnten, aber auch mädchenhaft neugierig und im nächsten Moment wieder mütterlich warm. Vor Jahren musste sie eine sehr schöne Frau gewesen sein. Inzwischen hatte auch sie vermutlich das eine oder andere Kilo zugenommen, ein paar erste Fältchen ließen sich auch mit teurem Make-up nicht mehr überschminken. Sie gefiel mir. Zeit meines Lebens habe ich mich immer in starke Frauen verliebt. Verschämt kichernde Elfen mit Knabenfiguren haben mich nie interessiert.
    Rasch stellten wir fest, dass wir einen ähnlichen Musikgeschmack hatten, was sie nicht zu überraschen schien. Wir mochten beide Jazz, sie eher Miles Davis und Stan Getz, ich Keith Jarrett und Jan Garbarek. Als sie einmal zur Toilette ging, orderte ich eine zweite Weinschorle und stellte fest, dass sie noch immer eine schöne Frau war. Sie hielt sich gerade, bewegte sich mit dieser selbstverständlichen Eleganz, die man entweder von Geburt an hat oder niemals haben wird. Sie trug eine perfekt sitzende sommerlich bunte Bluse und einen schmalen, nicht übermäßig langen Rock. Alles unaufdringlich geschmackvoll. Ihre Beine waren sehenswert.
    »Ich habe Sie bei dieser albernen Feier letzte Woche gesehen. Also wissen Sie meinen Namen«, sagte ich, als sie zurückkam. »Da fände ich es fair, wenn Sie mir auch den Ihren verraten würden.«
    »Wie möchten Sie denn, dass ich heiße?«, fragte sie mit ihrem sanften Lächeln, und ich fühlte mich wie ein Schuljunge, der etwas sehr Dummes gesagt hat.
    »Okay. Keine Namen.« Ich nippte an meinem Glas. Sie würde ihre Gründe haben. Den Ring an ihrer rechten Hand hatte ich natürlich längst bemerkt. Vorhin, während sie weg war, hatte ich überlegt, ob sie vielleicht Journalistin war. Aber ist der Kripochef einer Stadt wie Heidelberg eine solche Geheimnistuerei wert? Und sie hatte bisher keinen Versuch gemacht, mich auszuhorchen. Sie hatte links gestanden, bei den Stadträten. Kam sie aus dem Rathaus? Aber selbst, wenn es so wäre, es erklärte nicht, dass sie hier saß und sich stundenlang mit mir über Jazz und Heidelberg unterhielt.
    »Namen, Worte«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand. »Sollten wir uns nicht mehr für das interessieren, was sich dahinter verbirgt?«
    Eine Weile schwiegen wir. Sie gehörte zu den angenehmen Menschen, mit denen man nicht immerzu reden muss, um sie und sich bei Laune zu halten.
    »Okay«, sagte ich noch einmal. »Also keine Namen.« Ich sah auf die Uhr und erschrak. Es war schon nach zehn. Meine Mädchen würden zu Hause vor dem Fernseher sitzen, unangemessene Filme gucken und sich womöglich Sorgen machen. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war es draußen dunkel geworden. Die Musik war jetzt lauter, das Lokal fast voll. Meine geheimnisvolle Gesprächspartnerin beugte sich vor und ergriff ganz selbstverständlich meine Hand.
    »Sie müssen fort?«
    Ich nickte zerstreut.
    »Hätten Sie noch einige Minuten Zeit für mich? Ich würde Ihnen gerne etwas zeigen«, sagte sie mit plötzlichem Ernst.
    Wir bezahlten getrennt und verließen das Lokal gemeinsam.
     
    Schweigend führte sie mich um einige Ecken. Ich achtete nicht auf den Weg und genoss es, in Begleitung einer Frau, und noch dazu einer so attraktiven, durch die nächtlichen und immer noch sommerlich warmen Straßen zu schlendern. Wir kamen an einem offenbar gut besuchten griechischen Lokal vorbei, irgendwo schloss sie eine Tür auf und betrat einen dunklen, schmalen Hausflur. Es handelte sich um eines der weniger eindrucksvollen Gebäude der Weststadt. Beim Hinaufsteigen wurde ich unruhig und fragte mich, ob ich hier womöglich geradewegs in eine Falle spazierte. Aber wer sollte mir eine Falle stellen, wo mich noch kaum jemand kannte? Und vor allem, warum? Ich ärgerte mich über mich selbst. Als Polizist neigt man dazu, von Menschen immer das Schlimmste zu denken. Ich beschloss, erst morgen wieder Polizist zu sein. Da ich hinter ihr ging, hatte ich eine wunderbare Aussicht auf ihre nackten Beine. Mein Puls beschleunigte sich. Ich war das Treppensteigen nicht mehr gewohnt. Sie sah kein einziges Mal zurück.

Weitere Kostenlose Bücher