Heidelberger Requiem
rosafarbenen Schnellhefter auf den Stapel zurück. Wieder roch das ganze Büro nach ihrem Tee. Darunter mischte sich der übliche dumpfe Klinikgeruch nach Krankheit und Desinfektionsmitteln.
»Wen?«, fragte ich und lächelte ebenfalls. Ich konnte gar nicht anders in ihrer Gegenwart.
»Na, wen?« Sie lachte. »Den Mörder natürlich.«
»Wir haben jemanden festgenommen. Aber gestanden hat er leider noch nicht.«
»Das ging ja ganz schön flott.«
Ich erzählte ihr von Fitzgerald Gardener, von meiner Arbeit, davon, dass Mord und Totschlag meist Beziehungsdelikte sind, dass diese Fälle für uns oft einfacher aufzulösen waren als jeder Taschendiebstahl. Sie hörte aufmerksam zu und schien alle Zeit der Welt für mich zu haben. Sie jetzt schon zu bitten, mich in die Kantine zum Kaffeetrinken zu begleiten, wäre wohl doch ein wenig plump gewesen.
»Könnte man Ihnen mit einem Kaffee eine Freude machen?«, fragte sie und wies mit dem Kopf zur Tür. »Am Ende des Flurs haben wir einen Automaten. Der Cappuccino soll gar nicht mal übel sein, den das Ding macht.«
»Prima Idee«, sagte ich mit meinem charmantesten Lächeln. Sie sprang auf wie eine gespannte Feder.
Der Kaffee war wirklich nicht schlecht. Sie hatte sich etwas von ihrem merkwürdigen Tee mitgebracht. Nun standen wir an einem hohen, runden Tischchen, und unsere Ellenbogen berührten sich beinahe.
»Frau Doktor Schmitz …«
»Schmitz genügt«, fiel sie mir fröhlich ins Wort.
Marianne wäre mir natürlich noch lieber gewesen.
»Frau Schmitz. Sie sollen mit Patrick Grotheer gestritten haben, als er letzte Woche hier war. Ziemlich heftig sogar.«
Ich sah ihr ins Gesicht. Nicht nur, weil diese wachen, offenen und so unglaublich blauen Augen mich faszinierten, sondern auch, weil jede ihrer Regungen jetzt wichtig war. Sie trug keinerlei Schmuck. Das Make-up beschränkte sich auf einen dezenten Lippenstift, der ihren Lippen ein wenig Glanz verlieh, die natürliche Farbe aber nicht veränderte. Die Nägel waren mit einem transparenten Nagellack überzogen. Sie roch hauchfein nach einem vermutlich sündteuren Parfüm.
Erstaunt musterte sie mich. »Gestritten? Aber worüber denn?«
Ich nippte an meinem Cappuccino und wandte den Blick nicht ab. Ein junger Kerl mit einem riesigen Verband um den Kopf humpelte vorbei. Bei jedem Schritt entrang sich seinem schmerzverzerrten Mund ein Stöhnen.
Sie blickte ihm nach. Dann sah sie in ihren Becher. »Gestritten, nein, das ist zu viel gesagt.«
Zwei Schwestern gingen eilig vorbei und schimpften lautstark auf einen Hausmeister, der seit Tagen nicht zur Arbeit erschienen war.
»Wie würden Sie es denn ausdrücken? Was hat er hier gewollt?«
»Er wollte seinen Vater sprechen. Und ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass der erst diese Woche zurückkommt. Und das war auch schon alles.« Sie hob die Schultern und sah mir wieder ins Gesicht. Ihr Lächeln war verschwunden.
»Meines Wissens ist Professor Grotheer am Dienstag abgereist. Ihr Gespräch mit seinem Sohn war am Montag.«
Sie zögerte sehr lange. »Er wollte ihn nicht sehen, verstehen Sie? Das ist alles. Er wollte ihn einfach nicht sehen.«
»Sie hatten das so abgesprochen?«
»Alle haben Anweisung, ihn wegzuschicken, falls er hier auftaucht. Es war ja nicht mehr zum Aushalten.«
Obwohl ich nur winzige Schlucke nahm, ging mein Kaffee unaufhaltsam zur Neige.
»Letzte Frage.« Ich stellte den weißen Plastikbecher ab. »Warum hat er nicht versucht, seinen Vater zu Hause anzutreffen? Seine Mutter hätte ihm ja wohl kaum die Tür gewiesen.«
»Das ist eine wirklich gute Frage«, erwiderte sie schlicht und lachte mich an.
Es war so offensichtlich, dass sie mich mochte. Manchmal ist es verteufelt schwer, eine Frau nicht anzufassen.
13
Grotheers Kombi war endlich gefunden worden.
Vangelis klopfte energisch mit einem schlanken silbernen Stift auf ihr Büchlein. »Eine Streife ist gestern Abend praktisch über ihn gestolpert. Er war in der Nähe des Rohrbacher Friedhofs in einer Seitenstraße geparkt. Dummerweise hatte Grotheer ihn zu nahe an einem Zebrastreifen abgestellt. Die Schupos hatten ihm schon letzte Woche ein Knöllchen verpasst.«
Gestern Abend wollten sie den Kombi dann abschleppen lassen, und der Fahrer des Abschleppwagens hatte sie endlich darüber aufklärt, dass nach dem Renault seit Tagen gefahndet wurde. Anwohner gaben zu Protokoll, der Wagen habe öfter dort in der Gegend geparkt, meist für längere Zeit. Und es sei immer derselbe
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