Heidelberger Requiem
Seine Hand zitterte so, dass er kaum trinken konnte.
»Wenn Sie es nicht waren, warum haben Sie sich dann tagelang versteckt?«
»Mann!« Er lachte hysterisch. »Ich bin doch nicht bescheuert! Ich höre, Pat ist tot, kaltgemacht, während ich da in der Tiefgarage liege. Und vermutlich auch noch mit meinem Messer. Ehrlich, Mann, hätten Sie da nicht auch zugesehen, dass Sie von der Bildfläche verschwinden?« Gierig zog er an seiner Zigarette. »Sie glauben einem wie mir doch sowieso nichts! Ich kenn euren Laden doch!«
Und natürlich hatte er auch das eine oder andere zu verbergen gehabt. Aber darum ging es jetzt nicht.
Ich ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen.
»Warum haben Sie ihn so gehasst?«, fragte ich leise, als er die Kippe ausdrückte. Ich erhob mich, um eines der vergitterten Fenster zu öffnen, blieb dort stehen und lehnte mich mit dem Rücken an die lindgrün lackierte Fensterbank. »Um jemanden auf diese Weise abzuschlachten, muss man ihn hassen bis aufs Blut. Was hat er Ihnen getan?«
Er schwieg, und ich fürchtete schon, er würde wieder auf stur schalten. Aber dann öffnete er den Mund:
»Pat war ein Arschloch. Und er ist mir tierisch auf den Sack gegangen mit seinem Angebergetue. Früher, da war er ganz okay, ein Kumpel. Aber seit er vor lauter Kohle nicht mehr gewusst hat, wo vorne und hinten ist, war echt nichts mehr mit ihm anzufangen. Aber trotzdem hab ich ihn nicht kaltgemacht«, murmelte er mit gesenktem Blick.
»War es wegen Will?«
Verwirrt sah er auf. »Will? Wieso denn Will?«
»Weil er vielleicht schuld war an seinem Tod?«
»Bullshit!«, fauchte er und kniff die Augen zu. »Das ist doch absoluter Bullshit!«
In Kürze würde er mit den Tränen kämpfen. Ich schaltete einen Gang zurück.
»Wer war damals noch dabei?«
Erschrocken sah er auf. Blinzelte mich verwirrt an.
»Gestern haben Sie gesagt: Wir Jungs haben ein Radrennen gemacht. Heißt das, dass auch Mädchen dabei waren?«
Fitz Gardener schlug die Augen nieder. Etwas wie Demut lag in dieser kleinen Bewegung. Er war am Ende. Wir waren am Ziel.
»Der Professor. Der alte Grotheer ist auch dabei gewesen.«
»Und Sylvia«, ergänzte ich.
Auf einmal war ich sehr müde. Meine Augen brannten, vermutlich vom Rauch.
»Diese Frau Doktor hat schon wieder angerufen«, teilte mir meine Sekretärin mit, als ich das Vorzimmer betrat. »Sie sollen sich bei ihr melden, wenn’s geht.«
»Hallo«, sagte wenig später die helle Stimme, die ich in den letzten Nächten so oft im Traum gehört hatte. »Sie wollten mich sprechen?« Es klang, als stehe ein stilles Lachen auf ihrem Gesicht.
»Und Ihren Chef auch, wenn es sich machen ließe.«
»Bei mir sieht’s kurz vor Mittag ganz gut aus. Wir haben gleich noch eine Finanzbesprechung, aber das wird nicht so lange dauern.«
Sie sprach kurz mit jemandem im Hintergrund und wandte sich wieder an mich: »Der Chef hätte um elf kurz Zeit für Sie. Und anschließend sehen wir uns. Geht das in Ordnung?«
Ich fand das sehr in Ordnung und freute mich darauf, sie wiederzusehen. Aber noch musste ich eine Stunde Zeit totschlagen, bevor ich losfahren durfte. So las ich meine Post noch einmal durch und rief Balke an, um mir bestätigen zu lassen, dass die Wachen vor Helen Gardeners Haus wieder abgezogen waren und es ansonsten nichts Neues gab.
Später kam Sonja Walldorf und berichtete mir mit vor Stolz leuchtenden Augen, Frau Bergengrün in der Blumenstraße heiße mit Vornamen Ingrid und sei vor neununddreißig Jahren in Hannover zur Welt gekommen. Von Beruf sei sie Graphikerin, angestellt bei einer Marketing-Agentur in Schwetzingen. Ingrid Bergengrün war geschieden, fuhr einen acht Jahre alten schwarzen Golf GTI und hielt sich im Auftrag ihres Arbeitgebers seit drei Monaten in Sydney auf.
Anschließend wimmelte ich einen ungewöhnlich hartnäckigen Journalisten mit unserer Standardbegründung ab, dass wir aus ermittlungstaktischen Gründen keinerlei Informationen herausgäben, und verwies ihn an die Pressestelle.
Dann war es endlich Viertel vor elf, und ich durfte los.
Einen weltberühmten Wissenschaftler hatte ich mir anders vorgestellt. Beeindruckender. Bedeutender. Raumfüllender. Franz Grotheer war auf den ersten Blick eine unscheinbare Person. Er hatte etwa dieselbe Statur wie sein Sohn, war einen halben Kopf kleiner als ich, dabei schlank, fast drahtig für sein Alter. Er trug einen perfekt gebügelten Kittel, dessen makelloses Weiß die gesunde Bräune seiner Haut noch
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