Heidelberger Requiem
ein?«
Erschöpft schüttelte er den schmalen Kopf, setzte die Brille auf und wieder ab. »Nein. Beim besten Willen, nein. Seit Jahren gehen … gingen die Kinder ohnehin eigene Wege.«
Marianne Schmitz bekam ich an diesem Tag nicht zu Gesicht, obwohl ich sogar einen kleinen Umweg machte, um an ihrem Büro vorbeizukommen. Es war leer, und nach ihr zu fragen, traute ich mich nicht. Ich wusste nicht, welche Begründung ich für mein Interesse hätte nennen sollen.
Auch das Gespräch mit der Mutter brachte nichts. Frau Grotheer stand unter dem Einfluss starker Beruhigungsmittel und war nicht ansprechbar. Eine aus der Klinik abkommandierte Schwester achtete mit strenger Miene darauf, dass ich zügig wieder verschwand, nachdem ich die Sinnlosigkeit meines Versuchs eingesehen hatte.
15
Am Wochenende gab ich mir frei. Wir begannen zu packen. Mehrmals fuhr ich mit den Mädchen im voll geladenen Peugeot nach Heidelberg, um erste Dinge hinzubringen. Der Makler hatte mir Schlüssel besorgt, obwohl die Wohnung mir noch gar nicht gehörte. Um meinen guten Willen zu demonstrieren, gehörte der alte Schrank aus dem Keller, an dem die Herzen meiner Töchter hingen und der aufgrund einer alten Geschichte den Namen »Amerika« trug, zu den ersten Sachen, die in Heidelberg ankamen.
Am Samstagabend spielten wir Monopoly, und die Zwillinge gewannen erwartungsgemäß haushoch. Auch das hob ihre Laune nicht. Zwischendurch erstatteten meine Leute regelmäßig per Handy Bericht. Aber es gab nicht viel Neues. Ein Anwohner meinte tatsächlich, in der Nacht auf Freitag am südlichen Ortsrand von Dossenheim das Anlassen eines schweren Dieselmotors gehört zu haben. Ein paar andere Zeugen glaubten ebenfalls, dies und jenes beobachtet oder erlauscht zu haben. Über den Fahrer nichts. Es stand nicht einmal fest, ob es sich um einen Mann handelte. Das meiste war ohnehin nur der übliche Unfug.
Natürlich mochten die Zwillinge die Wohnung nicht. »Hier ist ja alles im selben Stockwerk! Das ist doof!«
»Das kann aber auch ein Vorteil sein.«
»Und wir haben nur ein Bad!«
»Ihr benutzt eures ja sowieso nie. Und dafür habt ihr jetzt getrennte Zimmer.«
Sie wollten keine getrennten Zimmer.
Am Nachmittag versuchte ich sie zu einem Spaziergang zum Schloss hinauf zu überreden. Sie erklärten mich für verrückt. Ich versuchte, ihnen die Sache schmackhaft zu machen, indem ich fragte, was sie wohl meinten, warum die Fürsten damals ihre Wohnsitze auf den Berg verlegt hatten und nicht wie gewöhnliche Leute am Fluss wohnen wollten.
»Weil sie blöd waren«, bekam ich zu hören.
Am Montag standen wir gemeinsam um sieben auf, frühstückten eilig, und eine Stunde später lud ich meine Töchter vor ihrer neuen Schule gegenüber dem Heidelberger Bergfriedhof ab.
»Du kommst aber mit rein, ja?«, fragten sie im Chor.
»Eine Schultüte braucht ihr aber nicht? Ihr werdet demnächst vierzehn, Kinder!«
»Wir sind keine Kinder. Und du kommst trotzdem mit rein! Wir kennen doch da überhaupt keinen.«
Sie hatten wirklich Angst. So zierte ich mich noch ein wenig, gab schließlich nach und begleitete sie in die neue Klasse. Geduldig wartete ich mit ihnen auf die Klassenlehrerin, eine schlanke Dame in den Fünfzigern, die sie freundlich in Empfang nahm. Ich versprach, sie nach der fünften Stunde abzuholen und mit ins Büro zu nehmen. In die Wohnung wollten sie auf keinen Fall alleine. Nun hatte ich nicht nur miserable Laune, sondern auch noch ein schlechtes Gewissen.
Wieder einmal erwarteten mich Neuigkeiten. Heute ausnahmsweise gute. Anhand der Spuren an Patrick Grotheers Kombi war es gelungen, die Gegend einzugrenzen, wo sein Drogenlabor liegen musste, und es schließlich ausfindig zu machen. Balke und Runkel waren schon draußen.
Balke war am Telefon hörbar bester Laune.
»Chef, das müssen Sie sich einfach ansehen«, prustete er. »Sie werden sich nicht mehr einkriegen!«
Hartnäckig weigerte er sich, nähere Auskünfte zu geben. Ich solle kommen, und es mir ansehen. Ich gab mich rasch geschlagen. So erledigte ich noch ein paar Routinesachen, die Frau Walldorf mir vorlegte, frühstückte nebenbei, wofür sie mich tadelte, nahm meine tägliche Vitamin-A-Tablette mit dem letzten Schluck Kaffee und stieg wieder in meinen Peugeot. So kam ich aus dem Büro und lief nicht Gefahr, Liebekind unter die Augen zu geraten.
Auf dem Weg nach Hüttenthal, einem Nest, von dem ich nur wusste, dass er irgendwo hinter Michelbach lag, verfuhr ich mich
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