Heidelberger Requiem
Viren gearbeitet wird, zum Beispiel. Und dann auf manchen Stationen, wo es hoch steril sein muss.«
Lange sahen wir uns schweigend an. In Vangelis’ Gesicht arbeitete es. Ich stellte fest, dass sie beeindruckend dunkle Augen hatte. Heute trug sie einen Hosenanzug, der nach meiner Einschätzung von einem italienischen Schneider stammte.
»Haben Sie schon gegessen?«, fragte ich schließlich.
Sie erhob sich sofort. »In der Kantine gibt’s jetzt nichts mehr. Gehen wir doch ins Merlin.«
Das Lokal lag nur wenige Meter vom Eingang der Polizeidirektion an einer Ecke und gefiel mir sofort. Bei besserem Wetter konnte man sogar draußen sitzen. Ich bestellte mir einen Salat mit Hähnchenbruststreifen. Vangelis wählte Spaghetti mit Muscheln. Wir aßen schweigend.
»Wie machen Sie das eigentlich mit Ihren Kleidern?«, fragte ich und schob den Teller von mir. »Das muss doch alles unvorstellbar teuer sein, was Sie tragen. Und ich weiß ja, was man hier verdient. Ich hab gesehen, dass Sie sogar die Etiketten raustrennen, damit es niemand merkt. Aber mich können Sie nicht täuschen.«
Sie lachte! Klara Vangelis lachte wie ein Mädchen. »Ich schneidere sie selbst«, erklärte sie mit sichtlichem Stolz. »Ich gehe in eine gute Boutique, suche mir was Schönes aus von Dior oder Yves Saint Laurent oder Laura Biagotti, probiere es gründlich an, studiere den Schnitt und mache mir manchmal noch heimlich kleine Skizzen in der Umkleidekabine. Der Rest ist dann gar nicht so schwer. Wenn man es kann.«
»Und ich dachte, Sie schneiden die Etiketten heraus, damit nicht auffällt, wie sehr Sie über Ihre Verhältnisse leben.«
Als wir uns im Treppenhaus verabschiedeten, war ihr Lächeln schon wieder verschwunden.
»Ich will alles über diesen verschwundenen Hausmeister wissen«, sagte ich. »Ich werde heute noch mit Grotheer reden. Vielleicht hat’s ja Streit gegeben mit dem Mann.«
»Simon, sagen Sie?«, fragte Marianne Schmitz ratlos. »Und der soll Hausmeister bei uns sein? Die wechseln öfter mal. Man kann sich das nicht alles merken, sorry.«
»Fallen Ihnen irgendwelche Ereignisse ein, wo er sich vielleicht schlecht behandelt gefühlt hat? Gab es Beschwerden? Vielleicht auch völlig aus der Luft gegriffene?«
»Ehrlich, ich kenne den Mann nicht. Wie sieht er denn aus?«
Ich beschrieb Georg Simon, soweit es mir möglich war.
Sie griff zum Hörer und telefonierte mit drei verschiedenen Untergebenen. Niemand konnte sich daran erinnern, dass es mit Georg Simon jemals Ärger gegeben hätte. Zum Abschied drückte sie mir die Hand und lächelte traurig.
Im Büro erwartete mich Vangelis. Mit dem Blick eines Raubtiers vor dem Sprung tigerte sie vor meinem Schreibtisch auf und ab.
»Dieser Hausmeister ist heiß! Absolut heiß!«, begann sie, noch bevor ich mich gesetzt hatte. »Er hat sich in Luft aufgelöst. Er hat eine kleine möblierte Wohnung in Eppelheim draußen, aber da ist er seit Wochen nicht mehr gewesen. Kein Nachbar kann sich daran erinnern, den Mann je gesehen zu haben.« Fieberhaft blätterte sie in ihrem Notizbuch. »Laut Melderegister ist er im Frühjahr aus Wuppertal zugezogen, was aber definitiv nicht stimmt. Jedenfalls war er dort nie gemeldet. Die Wohnung hat er über einen Makler gemietet, der ihn ein einziges Mal gesehen hat. Er kann sich mit Mühe daran erinnern, dass es ein Mann war, mehr nicht. Die Miete wurde per Dauerauftrag bezahlt, und zwar von dem Konto, auf das die Klinik das Gehalt überwies.« Sie klappte ihr Notizbuch zu und sah auf. »Sein Briefkasten ist vor sechs Wochen zuletzt geleert worden. Wir haben es anhand der Prospekte rekonstruieren können, die drin steckten. Post scheint er überhaupt keine bekommen zu haben.«
Jetzt hatte ich ebenfalls Mühe, meine Erregung zu unterdrücken. »Wir brauchen Bilder. Vielleicht gibt’s in der Klinik Fotos, wo er drauf ist? Geburtstagsfeiern, Betriebsausflüge, es wird doch immer und überall fotografiert.«
»Ist schon in Arbeit. Vier Leute sind im Klinikum draußen und löchern jeden, der ihn kennt. Außerdem habe ich alle, die regelmäßig mit ihm zu tun hatten, zum Erkennungsdienst gebeten. Vielleicht kriegen wir ja auf diesem Weg wenigstens ein brauchbares Phantombild. Und seine Fingerabdrücke müssten dort ja auch irgendwo zu finden sein.«
Wir sollten uns täuschen. Das einzige Bild, auf dem Georg Simon zu sehen war, war das unscharfe Automatenfoto in seiner Bewerbungsmappe. Auch Fingerabdrücke fanden sich weder in seinem
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