Heidelberger Requiem
weg, aber noch immer war die Straße halbseitig gesperrt, was kilometerlange Staus verursachte. Ein unangenehm kühler Wind wehte von Westen her. Es roch nach Landwirtschaft und ausgelaufenem Benzin. Ich fror.
Klara Vangelis klärte mich im Schnelldurchgang auf: »Sie wohnt mit einer Freundin zusammen in Ladenburg, haben wir inzwischen herausgefunden. Anscheinend war sie auf dem Weg dorthin. Muss kurz nach vier gewesen sein. Bis dahin hatte sie in der Klinik gearbeitet. Irgendwelche Experimente, die man nicht unterbrechen kann, haben sie mir erklärt. Wir haben einen Zeugen, der ist hier Punkt vier vorbeigekommen, und da war noch nichts. Um sieben Minuten nach vier kam dann die Unfallmeldung.«
»Was ist passiert?«
»Ein Lkw. Ist in der letzten Nacht von einer Straßen-Baustelle nördlich von Schriesheim gestohlen worden. Er muss sie frontal gerammt haben.« Sie wies auf die Straße. »Sehen Sie da, die Spuren: Sie hat gebremst, er nicht. Er hatte so viel Schwung, dass er sie achtzehn Meter rückwärts geschoben hat.«
Ein Mähdrescher dröhnte vorbei. Dann wurde es wieder ruhiger.
»Aber wie kommen Sie auf Mord? Der Fahrer kann eingeschlafen sein. Um diese Uhrzeit …«
Sie nickte zerstreut und schüttelte im nächsten Moment den Kopf. »Dann wäre er ja wohl kaum weitergefahren. Das war ganz eindeutig Absicht. Der Lkw steht nur einen Kilometer von hier an der Bushaltestelle am Ortseingang von Handschuhsheim. Die Spurensicherung ist schon dran. Er hat genau gewusst, wann sie nach Hause fährt. Hat sie vielleicht schon ein paar Tage beobachtet. Dann hat er den Laster gestohlen, irgendwo gewartet, bis sie kommt, und sie mit voller Absicht gerammt.«
»Warum soll es kein Unfall gewesen sein?« Ich wusste selbst nicht, wen ich eigentlich überzeugen wollte. »Nur weil ihr Bruder ermordet wurde, muss es hier ja nicht auch Mord sein. Ein unglückliches Zusammentreffen. Junge Burschen vielleicht, die zum Spaß einen Laster klauen und eine kleine Spritztour machen? So was passiert doch immer wieder mal. Es geht schief, sie lassen die Kiste irgendwo stehen und verduften.«
Es war offensichtlich, dass sie nicht an meine Theorie glaubte. »Ja, schon. Das habe ich natürlich auch schon überlegt. Aber trotzdem, ich werde einfach das Gefühl nicht los …«
»Ich dachte, Gefühle sind nicht so Ihr Ding.«
Mit einem wütenden Schnauben wandte sie sich ab. Eine Weile standen wir stumm nebeneinander und beobachteten die uniformierten Kollegen, die immer noch Fotos machten, Bremsspuren ausmaßen und den Verkehr regelten. Mit blinkenden gelben Lichtern kam der Abschleppwagen und rangierte sich vor den Mazda. Ich beschloss, mir den Lkw anzusehen.
Die Spurensicherer waren natürlich noch nicht fertig, aber so viel konnten sie schon jetzt sagen: Klara Vangelis hatte Recht, Sylvia Grotheer war nicht einem Unfall zum Opfer gefallen. In dem gelb lackierten Lkw fand sich nicht die geringste Spur vom Fahrer. Er war fachmännisch geknackt und von einem Menschen gefahren worden, der Handschuhe trug und vermutlich einen dieser fusselfreien Overalls, wie sie auch die Männer übergezogen hatten, die das Fahrzeug jetzt Millimeter für Millimeter absuchten.
Am Lkw fand sich kaum eine Beschädigung. Es handelte sich um ein schweres dreiachsiges Baustellenfahrzeug, an dem lediglich wenig Lack von der Stoßstange geblättert war: einige Kratzer, babyblaue Farbspuren. Mehr gab es nicht zu sehen.
Ich fuhr zurück. Mein Magen rumorte nicht nur, weil ihm das Frühstück fehlte. Es sprach eine Menge dafür, dass ich es mit demselben Täter zu tun hatte wie beim ersten Mord. Das professionelle Vorgehen, das völlige Fehlen von Spuren, die ungewöhnliche Kaltblütigkeit. Aber für diesen zweiten Mord hatte Fitzgerald Gardener leider das beste Alibi, das ein Mensch haben kann. Wir konnten also wieder von vorne anfangen.
Oder sollten wir es doch mit einem zweiten Täter zu tun haben? Vielleicht irgendein Irrer, der in der Zeitung vom Mord an Patrick gelesen hatte? Hatten die Morde vielleicht gar nichts miteinander zu tun? Alles war möglich. Nichts war wahrscheinlich.
»Wie hat er das gemacht?«, fragte Vangelis, nachdem alle Platz genommen hatten. Wir waren zu acht, der Rest war im Einsatz. »Ich habe mich erkundigt, Mitte September wird es erst nach fünf Uhr hell. Im Dunkeln einen Wagen zu identifizieren, der einem mit eingeschalteten Scheinwerfern entgegenkommt, ist nicht so einfach. Er muss Helfer gehabt haben.«
»Oder ein
Weitere Kostenlose Bücher