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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Tag.
    Ungefragt erfuhr ich, dass sie eine halbe Stunde auf mich gewartet hatten, vor dem Grabstein-Geschäft, wie wir es verabredet hatten. Schließlich hatten sie einen Streifenwagen angehalten und den verdutzten Jungs erklärt, sie seien die Töchter des neuen Polizeipräsidenten und wünschten, ins Büro ihres berühmten Vaters chauffiert zu werden. Nach einigen Telefonaten hatten die Kollegen ihnen den Gefallen getan und sie in die Obhut meiner braven Sekretärin übergeben. Inzwischen hatten sie viel Fürsorge genossen, reichlich gegessen, unter anderem je drei Portionen Karamellpudding, und konnten sich voll und ganz auf ihre Empörung konzentrieren.
    Wieder einmal fiel mir auf, wie gut sie aufeinander eingespielt waren. Ihre Gehirne arbeiteten vollkommen synchron. Sie waren imstande, sich beim Sprechen mitten im Satz abzulösen, ohne dass man den Wechsel überhaupt bemerkte. Dadurch entfiel bei ihnen jede Atempause. Ich hatte nicht die geringste Chance, zu Wort zu kommen.
    Seufzend spendierte ich ihnen schließlich einen Zwanziger und die Erlaubnis, sich dafür zu kaufen, was sie wollten. Beim Anblick des Geldscheins beruhigten sie sich fast augenblicklich. Dennoch hatten sie unverkennbar mit mehr gerechnet.
    Dann trommelte ich meine Leute zusammen und ließ mir Bericht erstatten. Wir waren keinen Schritt weitergekommen.
    Vangelis hatte noch einmal mit dem Zeugen gesprochen, der in der Nacht auf Freitag den älteren Mann in der Nähe der Baustelle gesehen haben wollte. »Viel ist ihm nicht eingefallen, auch nachdem er wieder nüchtern war. Einsfünfundsiebzig bis einsachtzig soll er groß gewesen sein, fünfzig bis fünfundsechzig Jahre. Und graue Haare, lange graue Haare hat er gehabt. Dann meint der Zeuge noch, der Mann könnte ein wenig gehinkt haben. Aber da ist er nicht sicher. Es war ja stockdunkel. Ich habe mir die Beleuchtung bei Nacht angesehen. Viel sieht man da wirklich nicht.«
    »Wie glaubwürdig ist dieser Zeuge?«
    Sie hob die Schultern. »Er ist kein Spinner. Aber er war in der fraglichen Nacht eben ziemlich blau.«
    Mangels besserer Ideen beauftragte ich Runkel, ein wenig in Helen Gardeners Vorgeschichte herumzustöbern und herauszufinden, womit sie früher ihr Geld verdient hatte und wovon sie heute lebte. Die merkwürdige Reaktion ihres Sohnes auf diese einfachen Fragen ging mir nicht aus dem Kopf.
    Vermutlich war ich einfach zu frustriert und wütend, um schnell zu schalten. So waren sie schon in der Tür, als ich endlich zu mir kam. Ich rief Vangelis zurück und berichtete ihr von Balkes Theorie, dass auch Patrick Grotheers Mörder ein Bein nachgezogen hatte. Sie setzte sich und sah mich lange an.
    »Er hat lange graue Haare, er hinkt …«, flüsterte sie, während ihre Augen größer und größer wurden.
    Schließlich nickten wir beide völlig gleichzeitig, und ich griff zum Telefon. Sekunden später hatte ich die Stationsschwester am Apparat.
    »Unser Hausmeister? Der ist verschwunden, das stimmt. Seit letzten Dienstag schon. Tausendmal haben wir bei dem Kerl angerufen, aber er nimmt nicht ab. Wenn der sich nicht bald meldet, und zwar mit einer superguten Ausrede, dann wird er gefeuert, dafür werde ich persönlich sorgen.«
    »Seit wann arbeitet er bei Ihnen?«
    »Warten Sie … seit März. Im Februar ist der alte Pelzer in Rente gegangen. Und am ersten März hat der Simon bei uns angefangen. Eigentlich sind wir ganz zufrieden mit ihm. Hat nicht rumgequatscht, nicht mit den Hilfsschwestern geschäkert, sondern seine Arbeit gemacht. Immer pünktlich, nie krank, so einen können wir brauchen. Weiß der Teufel, was auf einmal in den Mann gefahren ist.«
    »Wie war der Name?«
    »Simon. Georg Simon.«
    Ich notierte mir seine Adresse und legte auf. Vangelis hatte mitgehört.
    »Es wird in der Stadt Tausende geben, die ein Bein nachziehen«, meinte sie nachdenklich.
    »Wenn wir die Hälfte abziehen, die weiblichen Geschlechts ist, und all die, bei denen das Alter nicht passt …«
    »Dennoch«, beharrte sie. »Andererseits …« Sie sprang auf und setzte sich gleich wieder.
    »Andererseits?«
    »Haben die in so einer Klinik nicht auch Überschuhe aus Plastikfolie? Und solche Overalls?«
    Ich drückte die Wahlwiederholung. Diesmal dauerte es eine Weile, bis jemand abnahm. »Klar«, sagte der junge Mann schließlich, dessen Stimme ich sofort wiedererkannte. Er hatte uns anonym vom Streit zwischen Marianne Schmitz und Patrick Grotheer berichtet. »In den Labors haben wir solche Sachen, wenn mit

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