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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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viermal. Zu meinem Ärger musste ich mehrfach Balke telefonisch um Hilfe bitten. Unterwegs begann es wieder zu regnen.
    Endlich hatte ich das unscheinbare Häuschen gefunden. Es stand einen halben Kilometer östlich des Orts leicht erhöht am Waldrand und war offenbar vor langer Zeit als bescheidenes Wochenendhaus errichtet worden. Der Blick ins flache Tal ging über abgemähte Wiesen. Irgendwo in der Nähe gurgelte ein Bächlein. Durch eine hohe, undurchdringliche Hecke und ein übermannshohes Tor aus massiven Holzplanken war das Haus gegen neugierige Blicke geschützt. Das Grundstück war hoffnungslos verwahrlost.
    Balke erwartete mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor der Tür und führte mich hinein. Durch einen dunklen Windfang betraten wir den einzigen Raum, der zugleich Wohn- und Schlafraum, Küche und Chemielabor war. An der Seitenwand stand ein rostiges Feldbett, vermutlich für den Notfall. Daneben ein Kocher, zwei Töpfe und ein wenig Geschirr für den kleinen Hunger zwischendurch, ein kleiner, abgewetzter Holztisch, ein einziger, ungepolsterter Stuhl. Der Wert des wenig beeindruckenden Labors stand in keinem Verhältnis zu den Summen, die hier vermutlich verdient wurden. Unter der gekachelten Arbeitsplatte befanden sich ein paar weiße und blaue Kunststoffkanister, darauf einige nicht sonderlich saubere Gerätschaften aus Glas, ein Küchenwecker, ein billiger Elektrokocher. Auf einem Regal einige kantige braune Flaschen mit verschiedenen Pulvern. Man brauchte erschreckend wenig, um mit Designerdrogen reich zu werden. Es roch nach Ammoniak und schimmeligen Socken.
    »Und jetzt raten Sie mal, was hier hergestellt wurde.« Balke konnte gar nicht aufhören zu grinsen.
    Aber mir war nicht nach Späßen zumute. Er wartete noch einige Sekunden auf eine Reaktion von mir, dann erlosch sein Lächeln.
    »Viagra.«
    »Viagra?«
    »So was Ähnliches zumindest.« Er zeigte mir eine Büchse voller hellblauer Pillen. »Die Dinger sind gefaked. Ich habe mir mal seine Rohstoffe angeguckt. Viel Koffein scheint drin zu sein, und eine Menge Puderzucker, Farbstoff und noch ein paar andere Sachen.«
    »Aber die Wirkung?«
    »Rein psychodynamisch. Okay, das Koffein vielleicht.«
    Ich zog mir den Stuhl heran. Er machte ein markerschütterndes Geräusch, als er über den groben Dielenboden schrammte.
    »Kein Ecstasy?« Wieder eine Spur weniger.
    »Vermute, er hat umfirmiert. Das hier ist viel ungefährlicher. Null Konkurrenz. Und die Gewinnspanne dürfte ähnlich sein, wenn nicht sogar höher.«
    »Fälschung von Medikamenten ist ja wohl auch strafbar?«
    »Finden Sie mal einen, der ihn anzeigt.«
    »Das hat was für sich.« Ich legte das Gesicht in die Hände und atmete einige Male tief ein und aus. Aber es half nichts. Das Gefühl blieb, dass um mich herum alles zusammenbrach.
    »Wenn die Dinger helfen, ist der Kunde glücklich und hat keinen Grund zu meckern«, sagte Balke fröhlich.
    »Und wenn sie nicht helfen, beschwert er sich zweimal nicht, aus Angst vor der Blamage«, ergänzte ich.
    Balke lachte. »Wir haben eine Menge Fingerspuren gefunden. Ein paar Telefonnummern, ein Adressbuch. Da drüben neben dem Laptop liegt auch das Handy mit der hohen Rechnung. Er hat von hier aus den Verkauf abgewickelt. Übers Internet, per Handy, das ganze Equipment vom Feinsten. Ich hab schon mal ein bisschen geguckt, aber der Laptop ist passwortgeschützt. Wird dauern, bis wir die Daten haben.«
    Schnaufend kam Runkel hereingestolpert, der sich draußen umgesehen hatte, begrüßte mich erschrocken und wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht. Hinter ihm trat ein uniformierter, klapperdürrer Kollege ein, der uns, wie ich erfuhr, auf die richtige Spur gebracht hatte. Er hatte Grotheers Kombi einige Male gesehen und sich sicherheitshalber die Nummer notiert, weil Autos mit fremden Nummern in dieser Gegend offenbar grundsätzlich verdächtig waren.
     
    Als ich halb verhungert und gänzlich frustriert mein Büro wieder betrat, erwarteten mich zwei vor Zorn glühende Teenager mit blitzenden Augen und zweistimmigem Gezeter. Meine Sekretärin stand mit betretener Miene dabei und rang die Hände.
    Ich hatte sie vergessen. Meine Töchter. In ihrer neuen Schule. Ich, ihr »leibhaftiger« Vater, hatte meine Kinder vergessen. Sie meinten natürlich ihren »leiblichen« Vater. Ich würde darüber nachdenken müssen, was das bedeutete. Meine Kinder vergessen. In der Fremde. Ganz allein. Unter lauter unbekannten Menschen. Ich hasste diesen

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