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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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kleinen Dienstzimmer im Keller der Klinik, noch in der Wohnung in Eppelheim. Wer immer dieser Mann war, er wusste beängstigend genau, was er tat.

16
    Gegen halb sechs erschienen meine Töchter wieder und erklärten mir empört, dieses Heidelberg sei wirklich der allerletzte Scheiß. Zwar gebe es coole Geschäfte, okay, und schon auch süße Jungs hie und da. Aber dieses Schloss, zum Beispiel, das sei ja ganz kaputt. Kein Vergleich mit dem Karlsruher Schloss. Und dann dieser lächerliche Neckar, ein Witz, ein Bach, gemessen am Rhein! Und schließlich – echt voll die Katastrophe – dieser Dialekt, den die Leute hier sprachen, sogar manche Lehrer! Von der Schule wollten sie ansonsten gar nicht erst anfangen. Und außerdem hätten sie in dieser ganzen jämmerlichen Stadt bisher sage und schreibe einen einzigen McDonald’s gefunden.
    Ultimativ verlangten sie, ich solle den Verkauf unseres Hauses rückgängig machen und sie wieder an ihrer alten Schule anmelden. Als ich ihnen erklärte, dies sei beim besten Willen nicht möglich, brachen sie in Tränen aus. In echte, diesmal.
    In Gedanken versunken und aus unterschiedlichen Gründen schlechter Laune fuhren wir bald darauf nach Karlsruhe. Die Mädchen verweigerten die Nahrungsaufnahme und verschwanden sofort in ihrem Zimmer. Trotzig packte ich ein paar Kartons und fuhr sie nach Heidelberg.
    In zwei Wochen würden wir umziehen, meine jeder Aufgabe gewachsene Sekretärin hatte inzwischen einen Spediteur engagiert. Damit würden wir endgültig die Vergangenheit hinter uns lassen. Ich meine Ehe, die Zwillinge ihre Kindheit. Das war hart für sie, ich verstand sie ja. Aber sie würden sich eingewöhnen, da war ich mir sicher.
    Natürlich war mir bewusst, dass meine Beschäftigung vollkommen sinnlos war. Aber ich musste einfach etwas tun, irgendwas mit den Händen, wovon man später etwas sehen würde. Was mir das Gefühl gab, nützlich zu sein, etwas bewegt zu haben, an diesem unseligen Tag nicht nur im Kreis herumgerannt zu sein. Der Stapel im Keller, der zum Sperrmüll sollte, war inzwischen fast bis unter die Decke angewachsen.
    In der Kleinschmidtstraße parkte ich den Peugeot in der zweiten Reihe, schaltete die Warnblinkleuchten ein und begann lustlos, meine Kisten in den Keller zu schleppen. Wozu sollte ich mich beeilen? Zu Hause erwartete mich ein bis auf zwei übellaunige Teenager menschenleeres Haus. Auf Musik hatte ich keine Lust. Wein wollte ich mir heute nicht erlauben. Ich wusste, wie es endete, wenn ich in meiner jetzigen Verfassung eine Flasche öffnete. Aber all diese Gründe waren vorgeschoben. In Wirklichkeit wollte ich nur Zeit verstreichen lassen – in der Hoffnung, jemanden zu treffen.
    Sie kam ungefähr zur selben Zeit wie letztes Mal. Plötzlich stand sie da. Im selben Rock wie letzte Woche, mit derselben großen Handtasche über der Schulter, mit demselben Lächeln im Gesicht. Ich wollte sie umarmen und wusste nicht, ob ich es durfte. Wollte sie küssen und war sicher, dass sie das in der Öffentlichkeit nicht wollte. So reichte ich ihr die Hand und redete irgendeinen Unsinn.
    »Hallo«, sagte sie leise. »Wirklich ein schönes Haus.«
    »Ja, nicht wahr?«, stammelte ich.
    »Haben Sie ein wenig Zeit?«
    »Aber klar. Klar doch. Muss nur eben den Wagen …«
    »Wir könnten ein bisschen spazieren gehen. Haben Sie Lust?«
    »Gerne. Klar. Gerne.«
    Ich fand einen Parkplatz in einer Seitenstraße, inzwischen verfügte ich ja dank meiner tapferen Sekretärin über eine offizielle Parkerlaubnis, schloss mit feuchten Fingern ab, lief zurück und fürchtete, sie könnte verschwunden sein. Aber sie stand noch an derselben Stelle und lächelte ihr wissendes Lächeln.
    Schweigend gingen wir nebeneinander her, überquerten die immer noch stark befahrene Rohrbacher Straße. Bald ging es eine Steigung hinauf. Der Weg war anstrengend, und ich geriet außer Atem. Ein letztes Haus mit taubenblauen Fensterläden blieb zurück, der Weg führte weiter ansteigend in den Wald. Außer vereinzelten späten Joggern trafen wir niemanden. Meine Aufregung war verschwunden. Ich fühlte mich wohl neben dieser Frau. Immer noch schwiegen wir.
    Plötzlich öffnete sich der Wald, und ein Blick auf die erleuchtete Altstadt hinunter tat sich auf.
    »Schön.« Ich blieb stehen.
    »Nicht wahr?«, sagte sie leise und ergriff meine Hand. So standen wir in der heraufziehenden Dämmerung, ich weiß nicht, wie lange, lauschten auf die Geräusche der Stadt, ihr Summen und Sausen, hie und da

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