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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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das Hupen eines Autos, das Heulen eines Motorrads. Beleuchtete Kirchtürme stachen in den im Osten schon dunklen Himmel, die alte Steinbrücke, ganz rechts am Hang das angestrahlte rote Schloss. Im Westen wand sich das silberfarbene Band des Neckars in die Ebene hinaus, in der Ferne die Lichter Mannheims. Der letzte Widerschein von Sonnenlicht lag über dem Rheintal. Und das Merkwürdige war: Ich dachte die ganze Zeit nichts. Weder an Sex noch an meinen restlos verfahrenen Fall oder an meine bockigen Töchter. Ich fühlte mich frei wie selten mit einem Menschen. Da schwebten keine Erwartungen, lastete kein Zwang. Einfach nur eine schöne Aussicht und neben mir ein Mensch, dem ich vertraute, ohne im Geringsten zu wissen, aus welchem Grund.
    »Und jeden blickt’s wie seine Heimat an«, flüsterte sie.
    »Das dürfte nicht von Oscar Wilde sein.«
    »Eichendorff.« Ich glaubte zu hören, dass sie lächelte.
    Ich nahm sie in die Arme und küsste sie ganz leicht. Auf den Mund, auf die geschlossenen großen Augen. Ich strich über ihr volles Haar. Dann machten wir kehrt und schlenderten zurück.
    »Würden Sie mir erzählen, wie sie gestorben ist?«, fragte sie nach langem Schweigen mit verhaltener Stimme, und ich wusste sofort, dass sie nicht Sylvia Grotheer meinte. Inzwischen war es Nacht geworden, wir gingen langsamer und setzten unsere Schritte vorsichtig.
    Ich musste mehrmals schlucken, bevor ich antworten konnte. »Sie hatte Zahnschmerzen. Seit Tagen schon. Ein Weisheitszahn, sollte schon lange raus, aber wie das so ist – sie hat es immer wieder hinausgeschoben. Irgendwann ging’s dann einfach nicht mehr. Sie ist morgens in die Stadt gefahren, mit der Bahn. Hat sich den Zahn ziehen lassen und später noch ein bisschen gebummelt. Ein Kleid gekauft, das sie sich schon lange wünschte. Als Belohnung vielleicht, für ihre Tapferkeit. Dann ist sie nach Hause gefahren, kurz vor elf. Die S 1 geht um zehn Uhr achtundfünfzig am Europaplatz, da ist sie eingestiegen, ich habe den Stempel auf ihrer Fahrkarte gesehen. An der Endhaltestelle wollte der Fahrer sie wecken. Hat gedacht, sie ist vielleicht betrunken.«
    »Danke«, sagte sie und nahm wieder meine Hand.
    Der Wald blieb zurück, es wurde wieder ein wenig heller.
    »Ein Blutgerinnsel im Gehirn, hat ein Arzt mir später erklärt. Man weiß nicht mal, ob es was mit dem Zahn zu tun hatte.« Eine Weile hing ich meinen Gedanken nach. Sie schwieg. Aber es gab noch etwas, was ich loswerden musste. »Wir hatten uns an diesem Morgen gestritten. Fürchterlich gestritten. Ich war so wütend auf sie, so unglaublich wütend, als ich wegging …« Ich blieb stehen, sie sah mir ins Gesicht. »Ich habe mir gewünscht, ich wäre sie los. Sie wäre weg. Einfach nicht mehr da, wenn ich abends heimkomme, und ich hätte endlich meinen Frieden.«
    »Danke«, sagte sie wieder und drückte meine Hand fester. Wir gingen weiter.
    »Ich glaube, ich bin es, der danke sagen muss«, hörte ich mich zu meiner Verwunderung sagen.
    Als wieder Häuser in Sicht kamen, ließ sie meine Hand los. Den Rest des Weges gingen wir schweigend. Zum Abschied strich sie mir übers Haar wie einem Kind, das sich wehgetan hat.
    »Was haben Sie mit dem Kleid gemacht?«, fragte sie.
    »Es ist das einzige, das ich nicht weggegeben habe.«
    Sie nickte, als hätte sie mit genau dieser Antwort gerechnet und ging.
    Während der Rückfahrt fühlte ich mich leicht. Es war das erste Mal, dass ich mit jemandem über Veras Tod gesprochen hatte. Ich hatte erwartet, dass mich das traurig stimmen würde. Aber es war nicht so.
    Die Zwillinge schliefen längst, als ich nach Hause kam.
     
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem schönen Gefühl, angenehm geträumt zu haben, ohne mich an irgendetwas erinnern zu können. Erst auf der Fahrt nach Heidelberg mit zwei verstockt schweigenden Mädchen auf der Rückbank begann ich darüber nachzudenken, woher die Frau wohl von Veras Tod wusste. Sie schien alles über mich zu wissen. Woher nur?
    Sonja Walldorf war sichtlich bedrückt. Wie üblich hatte sie auf einem der Besucherstühle Platz genommen, um sich ein wenig über private Belanglosigkeiten mit mir zu unterhalten und mir beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Heute war sie auffallend wortkarg. So klagte ich ihr wieder einmal mein Leid als allein erziehender Vater, ließ mir von ihr bestätigen, dass man Kindern im Alter meiner Töchter einen Umzug durchaus zumuten könne, aber nicht einmal dieses Thema schien sie heute zu

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