Heidelberger Wut
hat sie aber Probleme mit …«
»Bitte«, stöhnte ich. »Seien Sie gnädig!«
»Bei einer Grillhütte im Mühltal. Das ist nördlich vom Heiligenberg, falls Sie es nicht wissen.«
»Daher das verkohlte Holz in ihrem Haar, das Laub …«
»Und jetzt?«, wollte sie wissen. »Was passiert jetzt?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Haben Sie nicht eine Idee?«
»Aber klar«, rief sie fröhlich. »Das Forstamt! Für Grillhütten ist doch das Forstamt zuständig.«
Tage-, wochenlang quält man sich herum. Es ist wie Rühren in einem unendlich zähen, klebrigen Teig. Es ist so unsäglich schweißtreibend und frustrierend und führt zu nichts und nichts und noch einmal nichts. Und dann fällt irgendwo ein Groschen, und plötzlich ist alles ganz einfach.
Sönnchen brauchte keine zwei Minuten, dann hatte ich einen Förster an der Strippe, der zum Glück über eine Eselsgeduld und ein phänomenales Gedächtnis verfügte.
»Ja, ich erinnere mich«, brummte er ohne Begeisterung. »In dem Sommer haben da manchmal ein paar junge Burschen rumgehangen. Fast jeden Abend hat man sie bei der Hütte gesehen. Ich hab sie dann ein bisschen im Auge behalten. Manchmal ist später irgendwas kaputt, und dann will’s keiner gewesen sein.«
»Können Sie sich an die Gesichter erinnern?«
»Das wär ein bisschen viel verlangt, meinen Sie nicht?«, lachte er spöttisch. Offenbar ging ich ihm auf die Nerven. »Vier oder fünf sind es gewesen. Der Älteste muss schon achtzehn gewesen sein, da war immer ein Auto, ein kleiner aufgemotzter Fiat. Die anderen waren jünger, die sind immer auf Mopeds gekommen. Und so haben die Bürschchen ja auch ausgesehen. Möchtegern-Rocker halt, Hell’s Angels fürs Kinderzimmer, hat mein Kollege mal gesagt. Dicke Lederjacke, großes Getue und möglichst viel Bier. Aber die waren keine von der schlimmen Sorte. Die sind aus ordentlichen Familien gewesen, das hat man gemerkt. Am nächsten Morgen war immer alles im Mülleimer, was da reingehört. Was ist mit denen? Warum wollen Sie das überhaupt wissen?«
»Es geht um einen verschwundenen Discman.«
»Haben die Burschen geklaut?«
Sönnchen stand mit vor Aufregung blasser Nase in der Tür. Ihr Blick klebte an meinem Mund.
»Ich habe jetzt keine Zeit, es Ihnen zu erklären. Sind Sie sicher, dass es wirklich Anfang Juli war?«
»Sie stellen vielleicht Fragen. Lassen Sie mich überlegen.« Ich wechselte den Hörer ans linke Ohr. Hörte Papier rascheln. Sönnchen konnte nicht mehr still stehen und setzte sich gespannt wie eine Feder mir gegenüber auf den Besucherstuhl.
»Ich heb mir die alten Kalender ja immer auf. Auch wenn die jungen Kollegen drüber lästern, mit ihren elektronischen Dingern. Bin gespannt, was die mal machen, wenn sie in zehn Jahren gefragt werden, was heute war. Ich sag immer, man weiß nie, wozu es mal nütze ist, und so ein Kalender frisst ja kein Brot. Ah, richtig, Anfang Juli, genau, da war damals dieser Brand.«
»Welcher Brand?«
»Ein paar Kilometer weiter hat ein Wäldchen gebrannt. Das Übliche. Illegales Grillfest im Freien, Feuer nicht ordentlich gelöscht und todsicher besoffen heimgefahren. Natürlich haben wir sie nicht gekriegt. Wir kriegen diese Typen ja so gut wie nie, und den Schaden hat dann der Staat. Aber er war zum Glück nicht so groß, der Schaden. Der Bestand war nicht mal zehnjährig. Das ist schon wieder nachgewachsen.«
Wieder raschelte er eine Weile herum. »Also, ich würd mal sagen …«, erklärte er mir schließlich bedächtig. »Ich weiß es nicht. Im Juni sind sie jedenfalls fast jeden Abend da gewesen. Und irgendwann sind sie nicht mehr gekommen. Mehr kann ich nicht dazu sagen.«
»Tja«, seufzte ich. »Dann haben wir wohl keine Chance, sie noch zu identifizieren.«
Sönnchen sank mit einem leisen Pfeifen in sich zusammen.
»Wieso?«, fragte der Förster verständnislos. »Klar kriegen Sie die.«
»Wie das?«
Sönnchen nahm wieder Haltung an.
»Ich kann Ihnen die Kennzeichen von den Mopeds geben und das von dem Fiat auch. Ich schreib mir so Sachen nämlich gern auf. Falls später mal was ist.«
In aller Regel küsse ich keine Männer. Aber diesen hier hätte ich geküsst, selbst wenn er noch so sehr nach Pfeifenrauch gestunken und mich mit Tannenharz verklebt hätte. Geduldig diktierte er mir die Nummern.
»Dieser Discman, was ist denn damit? Ist das nicht ein bisschen viel …?«
»Wenn es klappt, dann werden Sie es morgen lang und breit in der Zeitung lesen«,
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