Heidelberger Wut
»Gar nichts haben wir beschlossen! Das mit dem Spannen hatte ich längst wieder aufgegeben. Es war mir zu blöd geworden. Aber an dem Abend, da hab ich sie zufällig mal wieder zusammen gesehen. Und da war mir sofort klar, irgendwas war anders. Jule war so aufgebrezelt. Das war sie sonst nie.«
»Und dann sind Sie doch noch mal über den Zaun geklettert.«
»Es gibt da eine Stelle, da hat er eine Lücke. Da kann man ganz bequem rüber.«
Was dann kam, war so unglaublich banal, so niederschmetternd einfach – wie so oft, wenn am Ende etwas Grauenhaftes geschieht: Nichts war geplant gewesen. Alles war irgendwie von ganz allein gekommen. So leicht und selbstverständlich hatte sich eines ins andere gefügt. David hatte gesehen und gehört, was an jenem Abend in Seligmanns Haus vorging. Später, gegen elf, hatte er sich wie üblich mit seinen Freunden getroffen, man war ein wenig durch die Gegend gezogen, und natürlich war das Gespräch wieder einmal auf Jule gekommen.
»Wir sind so was von sauer gewesen, auf das …« Das nächste Wort verschluckte er. »Vor allem der Ferdi. Sauwütend war der. Weil sie ihn so hat abblitzen lassen.«
»Und vielleicht waren Sie auch ein bisschen scharf auf sie?«, fragte Vangelis leise.
»Klar waren wir alle geil auf sie! Wir wussten doch, die … die treibt’s da mit diesem alten Sack, und uns guckt sie nicht mal an!«
»Und da haben Sie einen Plan gefasst.«
»Nein«, erwiderte David todmüde, aber entschieden. »Wir wollten einfach nur gucken, wie es weitergeht. Es war alles … irgendwie ein Spiel, Abenteuer, ein Streich, irgend so was. Gegen eins hat er sie heimgefahren. Wir sind mit Abstand hinterher, in Ferdis Fiat. Hat sogar Spaß gemacht. Wir haben viel gelacht. Und getrunken auch. Ja verdammt, es hat uns Spaß gemacht«, wiederholte er fassungslos. »Selig, so haben wir ihn genannt, hat sie dann eine Ecke vor ihrem Haus abgesetzt. War ja klar, dass der von den Eltern lieber nicht gesehen werden wollte.«
»Und dann haben Sie …?«
»Wir haben sie angequatscht. Aus dem Auto. Erst nur so. Wollten sie ein bisschen ärgern. Ey, Jule, war’s schön mit dem alten Bock und so. Aber sie ist sofort frech geworden, megamäßig frech. Und da hat Ferdi die Wut gekriegt.«
»Und Sie haben sie in den Wagen gezerrt«, half Vangelis nach.
David schwieg lange. Unten auf der Straße hupte ein Auto. Irgendwo im Gebäude klirrte ein Fenster, jemand schrie auf.
Endlich nickte er.
»Ich war’s. Ich und der Ralf. Wir haben sie gepackt und ins Auto gestopft. Sie hat mir ziemlich eine verpasst.« Er betastete sein Gesicht, als könnten dort noch immer Spuren zu finden sein von dem Handgemenge.
»Was haben Sie sich davon versprochen?«
»Versprochen?« Er sah Vangelis verständnislos an. »Nichts. War alles nur so. Alles ist einfach so gekommen, irgendwie. Das lief … wie auf Schienen lief das auf einmal. Keiner hat mehr durchgeblickt. Wir wollten sie doch bloß ein bisschen ärgern, mehr nicht. Vielleicht, wenn sie nicht gleich so frech geworden wäre. Wir waren ja alle schon ziemlich blau, und …«
»Und?«
»Wahrscheinlich wollte keiner der Feigling sein, der sagt: Stopp!«
Die Burschen hatten Jule zunächst ein wenig durch die Nacht gefahren, und auf dem Rücksitz war es äußerst lebhaft zugegangen. Das Mädchen hatte sich natürlich mit Krallen und Zähnen gewehrt.
»Und dann waren wir irgendwann bei der Hütte. Da haben wir sie aus dem Auto geworfen. Ich hab vorgeschlagen, lassen wir sie heimlaufen. Wär ja Strafe genug gewesen, fünf Kilometer, mindestens, auf ihren Schühchen. Aber da ist der Ferdi ausgetickt. Der war ja die ganze Zeit gefahren und hatte bisher nichts gehabt von dem ganzen … Spaß. Und, ehrlich, was dann passiert ist, ich hab’s nicht mehr genau im Kopf. Ich hab so oft dran gedacht, und jedes Mal wurd alles immer nur unklarer. Aber bitte!« David sah uns beschwörend an. »Verstehen Sie das bitte nicht falsch. Ich will mich nicht rausreden! Ich war dabei, und deshalb hänge ich mit drin und bin mit schuld.«
»Ich kann Ihnen sagen, was dann gekommen ist«, entgegnete Vangelis in plötzlicher Kälte. »Bei uns heißt das versuchte gemeinsame Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung.«
David senkte den Blick.
»Wer? Wer war es?«
»Alle«, erwiderte er, nachdem er wieder eine halbe Ewigkeit geschwiegen hatte. »Wir alle. Ich auch.«
»Sie hat sich gewehrt.«
»Wie ein Tier! Und dabei hatte sie eine Stunde vorher noch mit
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