Heidelberger Wut
stand ich kaum zehn Minuten später vor der Leitenden Oberstaatsanwältin. Das Gespräch dauerte zum Glück nicht lange. Frau Doktor Steinbeißer zählte nicht zu den Menschen, die gerne Zeit mit Freundlichkeiten vergeuden.
Ich legte ihr das Verhörprotokoll vor, das Sönnchen vorhin eilig getippt und Braun unterzeichnet hatte, und sie ließ sich von mir die Zusammenhänge noch einmal erläutern. Zu meiner Verblüffung schien sie mit mir und meinen Leuten zufrieden zu sein, und am Ende brachte sie sogar so etwas wie ein anerkennendes Lächeln zustande. Aber natürlich konnte sie es sich nicht verkneifen, mich in ernsten Worten darauf hinzuweisen, dass der wirkliche Hintermann des Bankraubs nun noch immer frei herumlief. Als ob ich das nicht selbst gewusst hätte.
»Wir haben da auch ein paar neue Erkenntnisse«, erklärte ich, ohne rot zu werden. »Mit einem bisschen Glück kann ich Ihnen noch heute Nachmittag den Täter präsentieren.«
Ich berichtete ihr von unserem Anfangsverdacht gegen David Braun. Meiner Bitte, einen Durchsuchungsbefehl für das Haus der Familie auszustellen, kam sie nicht nach.
»Dazu müssten Sie mir schon ein wenig mehr bringen als einen so vagen Verdacht, mein lieber Herr Gerlach.«
»Mein lieber« hatte sie mich noch nie genannt. Sie würde doch nicht auf ihre alten Tage rührselig werden? Das Pflaster an ihrer Wange war schon wieder verschwunden. Die parallel laufenden Kratzer sahen wirklich aus, als stammten sie von einer Katze. Das Tier war mir spontan sympathisch.
So stand ich kurz nach elf schon wieder draußen in dem leichten Regen, der inzwischen eingesetzt hatte. Aber immer noch lieber feuchte Haare als ein Schirm mit gelben Rosen. Auf dem eiligen Rückweg erinnerte ich mich wieder an Jules Discman und das rote Tagebuch. Aber Vangelis hatte natürlich Recht. Falls die Sachen nicht längst im Müll gelandet waren, dann verstaubten sie heute in irgendeiner dunklen und seit Jahren nicht mehr geöffneten Schublade. Und wie sollten wir in einer Stadt von der Größe Heidelbergs diese eine Schublade finden?
Zwei Enten in dem großen Bassin vor dem futuristischen Gebäude der Polizeidirektion beobachteten interessiert, wie ich mein Handy zückte, um noch einmal Seligmann anzurufen. Immer noch besetzt. Die Enten schienen ein wenig enttäuscht, als ich das Handy wieder einsteckte. Vielleicht hatten sie erwartet, dass ich es in Stücke riss und nach und nach ins Wasser warf.
Nein, dieser Discman war wirklich nichts weiter als eine Spur mehr, die ins Nirgendwo führte. Nun hatten wir also einen Fall aufgeklärt, von dem wir heute Morgen noch gar nichts wussten. Und sowohl in der Bankraub-Sache als auch im Fall Jule Ahrens standen wir wieder am Anfang.
Meine Haare waren nicht feucht, sondern triefend nass, als ich langsamer als sonst die Treppen zu meinem Büro hochstieg.
Es erwartete mich eine strahlende Sekretärin. Ich hatte keine Lust auf eine unserer üblichen Plaudereien und wollte an ihr vorbei. Aber irgendetwas in ihrem Blick ließ mich zögern.
»Was gibt’s?« Ich sank auf einen Stuhl. »Ihre Schwester ist doch nicht etwa schon wieder schwanger?«
»Ich hab beim Fundbüro angerufen!«, sagte sie, als wäre dies eine sensationelle Heldentat.
»Hatten Sie was verloren? Entschuldigen Sie, vermutlich haben Sie mir davon erzählt, aber ich weiß zur Zeit nicht …«
»Nicht ich. Jule Ahrens hat was verloren.«
»Aha.«
»Ich kenn doch den Friedrich beim Fundamt. Wir singen seit Ewigkeiten zusammen im Chor. Und da hab ich gedacht, rufst du den doch einfach mal an. Zum Glück heben die ja alle Unterlagen bis zum Jüngsten Tag auf.«
»Sie wollen doch nicht etwa andeuten, der Discman sei damals gefunden worden?«, fragte ich langsam.
»Zwei Tage später, am neunten Juli. Natürlich ist er nie abgeholt worden, und sechs Monate später haben sie ihn dann versteigert. Einer von diesen Trödlern in der Altstadt hat ihn gekauft. Für dreiundzwanzig Mark, stellen Sie sich das mal vor, und dabei hatte er mindestens zweihundert gekostet und war noch ganz neu …«
»Sönnchen«, stöhnte ich. »Bitte!«
Sie lachte auf. »Sie möchten wissen, wo er gelegen hat? Das konnte mir der gute Friedrich leider auch nicht sagen. Aber dafür hat er mir die Adresse von der Finderin gegeben, einer gewissen Frau Poschardt. Sie wohnt in Handschuhsheim, zum Glück immer noch. Ich hab grad mit ihr telefoniert. Sie war damals nämlich jeden Morgen joggen in der Gegend, hat sie mir erzählt, jetzt
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