Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)

Öffentlichkeit Irritation eintreten, mit der Gefahr eines Göttersturzes. Erfüllt aber jemand das Bild wie Tennissportlerin Steffi Graf, dann ist in den Medien eine über das normale Maß hinausgehende Wertschätzung die Folge, die einer Person, die einmal gut im Sport war, über Jahre übermenschliche Eigenschaften zuschreiben kann.
    Von dergleichen Gefühlsströmungen hat im letzten Jahrzehnt niemand so sehr profitiert wie Heidi, die eigentlich von Natur aus keine hochgewachsene blonde Frau ist. Doch schon mit dem Entschluss, ihr Haar blond zu färben und lang zu tragen, beginnt ihre Mythologisierung. Die rheinische Frohnatur verwandelt sich in die mit knisternder Spannung aufgeladene Nixe Loreley, an deren Felsen männliche Schiffer zu scheitern drohen. Was einmal ein gesichtsloses Katalogmodel war, wird zum Fixstern. Sie muss von nun an nur mehr in den Medien vorkommen und dabei sichtbar werden wie Loreley auf ihrem Stein, und sich schön machen, schon klingt im Unterbewusstsein ihrer Betrachter Heinrich Heines Ballade auf:
     
    Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.  
 
    Dass es wirklich so ist, wird man umso mehr im Jahr 2003 erkennen, als Heidi vom Formel-1-Manager Flavio Briatore geschwängert und zugleich von ihm verlassen wird. Nun ist sie ganz die Loreley im Märchen des Clemens von Brentano geworden, wird zur unglücklichen Schönen dieser Geschichte. Zwar kann sie alle verzaubern, doch das Herz des Mannes, den sie liebt, bleibt kalt. Das Ausmaß der Unterstützung, dass Heidi als Schwangere in ihrer Heimat erfährt, ist hier größer als überall sonst. Dabei entsteht eine fast familiäre Intensität zwischen Heidi und den Deutschen, und bis zu einem gewissen Grad zehrt sie als öffentliche Person heute noch davon.
    In Amerika spielt Heidi eine andere Rolle. Das Land ist jung. Alte Mythen haben hier keinen Platz. In den USA ist Heidi aufgrund ihres Akzents vorerst einmal die Deutsche, also eine Person, die abgehackt spricht und fremde Länder in Blitzkriegen überrollen möchte. Nationale Klischees wiegen hier mehr als in Europa. Dazu gehört aber auch die Erinnerung an ein Deutschland vor dem Hitlerwahn. Der Name Heidi ist bei der Generation der Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurden, nicht ganz selten. Auch hier sind die Kinderbücher Spyris bekannt, und Heidi ist ein Synonym für ein fröhliches Mädel von der Alm. In den 1990er Jahren kommt außerdem in den Vereinigten Staaten Heidi Fleiss zu Prominenz, die „Hollywood-Madam“, eine Prostituierte, die in der Filmstadt einen Callgirl-Ring aufbaute. Der Name Heidi steht hier für Sex. Unsere Heidi Klum wird sich beider Klischees geschickt bedienen. Wenn sie natürlich und fröhlich auf ihre Geschäftspartner zugeht, ist da ein Hauch von Spyri, aber auch von der Verführungskunst einer „Hollywood-Madam“, einer Frau, die die Liebe kennt. Und nachdem sie aufgrund ihrer relativ runden weiblichen Formen unter den Models als „The Body“ bekannt geworden ist, gilt sie den Medien bald auch als eine junge Frau, die vor Sex nur so trieft. Da ist es kein Zufall, dass die Amerikaner sie schon 1998 in der Sparte „Pin-up“ zur „Sexiest Woman of the Year“ wählen.
    Ihr Ruhm als heißer Feger der Saison ruft im gleichen Jahr nebenbei bemerkt auch einen alten Routinier der Verführungskunst auf den Plan. Es ist der spanische Schlagersänger Julio Iglesias, der offenbar zu den Abonnenten von Sports Illustrated gehört. Eines Tages ist er am Telefon und sagt Heidi, dass er ihr seinen Privatjet nach New York schicken möchte. Er lädt sie nach Las Vegas zu seiner Show ein. Er hätte mit ihr Berufliches zu besprechen. Neugierig geworden und geschmeichelt fliegt Heidi nach Las Vegas und wird von dem 30 Jahre älteren Star auch zuvorkommend begrüßt. Als sie aber erfährt, was er vorhat, fällt die Sache in sich zusammen. Iglesias möchte ein Sex-Video machen, in dem Heidi als seine Gespielin auftritt. Heidi lächelt, lässt sich kurz mit Iglesias ablichten, um zu dokumentieren, dass sie ihn getroffen hat, und fliegt dann wieder unverrichteter Dinge nach New York zurück.
    Sie nimmt es gern in Kauf, dass man sie ihrer Kurven wegen liebt. Doch sie weiß auch, dass gutes Aussehen allein nicht reicht. Wenn sie als Model weiterkommen will, dann kann sie das