Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)
nur mit erfolgreichen Bildern. Diese entstehen meist aber nur dann, wenn sich alle Beteiligten am Set wohl fühlen. Heidi hat von Anfang an darauf geachtet, bei den Shootings für gute Stimmung zu sorgen. Sie ist schon deshalb keine Zicke, weil Missstimmung vor der Kamera – mitunter aber auch hinter der Kamera – sichtbar werden kann. In letzter Zeit aber arbeitet sie auch noch daran, nicht mehr bloße Oberfläche zu sein, sondern bei den Shootings prägend zu wirken. Denn nur so kann sie ein Topmodel sein, jemand Besonderes, Unverwechselbares. Auf diesem Gebiet kann Heidi mehrmals punkten. So schlägt ihre Stunde, als sie einmal mit dem Boxer Evander Holyfield vor die Kamera tritt. Holyfield ist vor allem deshalb berühmt geworden, weil er indirekt die Karriere des Ausnahmeboxers Mike Tyson beendet hat. Dieser hat Holyfield während des Kampfes um die Schwergewichtsweltmeisterschaft das Ohr abgebissen. Die Wunde ist verheilt, Tyson wurde lebenslang vom Boxsport ausgeschlossen, und Holyfield hat gutes Schmerzensgeld erhalten. Doch dass seine Aggressivität hinter der Tysons zurückgeblieben ist, wird ihm von manchen als Hinweis auf mangelnden Siegeswillen ausgelegt. Seither gibt sich Holyfield Mühe, durch markiges Auftreten gar nicht erst den Gedanken an eine Schwäche aufkommen zu lassen. Sich mit einem Model vor der Kamera zu vergnügen ist in dieser Hinsicht nicht der beste Weg, sein Image aufzupolieren, wäre aber zugleich wieder eine Gelegenheit, um in die Medien zu kommen. Holyfield ist unentschlossen und an dem Tag verstimmt. Heidi spürt, dass der Fototermin am Ingrimm des Boxers zu scheitern droht. Zuerst versucht sie, das eingeschüchterte Team aufzulockern. „Die Crew lief wie auf Eierschalen. Alle grübelten nervös, wie sie Holyfield, den grimmigen Fighter, dazu kriegen konnten, mit einem Model vor der Kamera herumzuhampeln. Bevor Evander mit seinem Gefolge eintraf, wurde ich von allen gebrieft: Er muss seine Musik hören! Er hat nicht viel Zeit! Bitte ihn bloß nicht um ein Autogramm!“ Heidi macht sich Gedanken und beschließt dann, die Ratschläge zu ignorieren. Auch sie will etwas von Holyfield: Ein bärenstarkes Foto. Sie überlegt, welche Pose sie einnehmen kann, um dieses Ziel zu erreichen. Da fällt ihr Blick auf sein vernarbtes Ohr. Das ist die Inspiration! „Ich wollte Evander Holyfield ins Ohr beißen. Ich dachte mir, das erreiche ich am ehesten, wenn Evander Spaß an der Sache hatte.“ Die Sache geht dann so ab: Holyfield beginnt am Set zu seiner Barry-White-CD zu tanzen, um locker zu werden, und Heidi fängt an, „um ihn herum zu springen wie ein kleiner Jack-Russell-Terrier, der nach den Hufen eines Pferdes schnappt. Er beobachtete mich aus den Augenwinkeln. Zweifellos hielt er mich für bekloppt. Er taute allmählich auf, tanzte etwas schneller und ließ sich auf eine Runde Scheinboxen mit mir ein.“ Da säuselt sie: „He, Evander, wie wär's, wenn du mir ins Ohr beißt, und ich in deins?“ Die Crew ist fassungslos, starr vor Schreck. Doch der Boxer sagt ja. „Ich war völlig überrumpelt, als mir Heidi ins Ohr biss“, merkt er später an. „Aber als ich mich an die 35 Millionen erinnerte, die der letzte Biss ins Ohr mir eingebracht hat, machte es mir nichts mehr aus.“ Das dabei gemachte Bild geht um die Welt, und das nicht zuletzt, weil hier Schwarz und Weiß so entspannt und ohne Hemmungen vor der Kamera miteinander tollen, wie man das sonst im Showbusiness nur selten erleben kann. Das Shooting mit Holyfield bietet eine Vorschau auf spätere Szenen zwischen Heidi und ihrem Mann Seal vor der Kamera: Eine weiße Deutsche und ein schwarzer Engländer posieren, kuscheln und ringen spielerisch am Set und sind dabei so unschuldig, humorvoll und sexy, dass es eine Freude ist. In diesen Augenblicken zeigt sich Heidi von ihrer stärksten Seite: Sie ist nicht nur schön wie viele Models, sondern hat eine vielschichtige, attraktive Persönlichkeit, die sich der Kamera mitteilt. Sie ist lebenslustig, offen und sinnlich.
Heidi nutzt ihren deutschen Akzent, um sich über ihr Deutschsein zu belustigen und es dadurch zu relativieren. Heidi hat das schon in ihrer ersten Zeit erfahren, als ihre schlechte Aussprache gleich einschlägige Witze über Nazis zur Folge hatte. Anstatt sich humorlos zu zeigen und grimmig die „Deutsche“ abzugeben, stellt sie dieses Klischee in Frage, indem sie ganz „undeutsch“ zur Selbstparodie greift. Sie macht von Anfang an bei dem Spaß mit,
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