Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Großmutter ihn in der Tür erwartete.
“Ist alles gut gegangen, Moni?” fragte sie freundlich, führte dann die Braune in den Stall und fing gleich an, sie zu melken. Die Großmutter war noch eine rüstige Frau und besorgte alles selbst im Haus und im Stall und hielt überall Ordnung. Moni stand in der Stalltür und schaute der Großmutter zu. Als das Melken beendet war, trat sie ins Häuschen und sagte: “Komm, Moni, du wirst Hunger haben.”
Sie hatte auch schon alles hergerichtet. Moni konnte sich sofort an den Tisch setzen. Sie nahm neben ihm Platz. Obwohl es nur eine Schüssel voll Maisbrei mit der Milch der Braunen gab, so ließ sich’s Moni doch herrlich schmecken. Dabei erzählte er der Großmutter, was er den Tag über erlebt hatte, und sobald er sein Mahl beendet hatte, zog er sich auf sein Lager zurück, denn er mußte sich ja früh am Morgen wieder mit der Herde auf den Weg machen.
Auf diese Weise hatte Moni schon zwei Sommer verbracht, so lange schon war er Geißbub. Er war jetzt so an dieses Leben gewöhnt und mit seinen Tierchen verbunden, daß er sich’s gar nicht anders denken konnte. Mit seiner Großmutter lebte Moni zusammen, solange er sich besinnen konnte. Seine Mutter war gestorben, als er noch ganz klein war. Sein Vater zog bald danach mit anderen zum Kriegsdienst nach Neapel, um etwas zu verdienen, denn er meinte, das gehe dort schneller.
Die Mutter seiner Frau war auch arm, aber sie nahm auf der Stelle das verlassene Büblein ihrer Tochter, den kleinen Salomon, zu sich und teilte mit ihm, was sie hatte. Es lag auch ein Segen auf ihrem Häuschen, und noch nie hatte sie Not leiden müssen.
Die brave, alte Elsbeth war auch im ganzen Dorf beliebt, und als vor zwei Jahren ein anderer Geißbub ausgewählt wurde, da fielen alle Stimmen einstimmig auf den Moni. Denn jeder gönnte es der arbeitsamen Elsbeth, daß nun Moni auch etwas verdienen konnte. Die fromme Großmutter hatte den Moni keinen Morgen weggehen lassen, ohne daß sie ihm sagte: “Moni, vergiß nicht, wie nah du dort oben dem lieben Gott bist und daß er alles sieht und hört. Du kannst vor seinen Augen nichts verbergen. Aber vergiß auch nicht, daß er in deiner Nähe ist, um dir zu helfen. Daher mußt du dich nie fürchten, und wenn du dort oben keine Menschen herbeirufen kannst, rufe du nur zum lieben Gott in der Not, er hört dich gleich und kommt dir zur Hilfe.”
So zog Moni von Anfang an voller Zuversicht auf die einsamen Höhen und die höchsten Felsen und hatte nie die leiseste Furcht noch Schrecken, denn er dachte immer: Je höher hinauf, desto näher bin ich beim lieben Gott und desto sicherer in allem, was mir begegnen kann. So hatte Moni weder Sorge noch Kummer und konnte sich freuen an allem, was er erlebte vom Morgen bis zum Abend. Und es war kein Wunder, daß er immer pfiff und sang und jodelte, denn er mußte seiner großen Fröhlichkeit Luft machen.
2. Kapitel
Monis Leben auf dem Berg
Am folgenden Morgen erwachte Paula so früh wie sonst nie, ein lauter
Gesang hatte sie aus dem Schlaf geweckt. “Da ist gewiß schon der
Geißbub”, sagte sie, sprang aus dem Bett und lief ans Fenster.
Richtig, mit frischen, roten Backen stand der Moni im Hof und hatte eben die alte Geiß und das Zicklein aus dem Stall geholt. Jetzt schwang er seine Rute in der Luft, die Geißen hüpften und sprangen um ihn herum, und nun ging’s vorwärts mit der ganzen Schar. Und plötzlich erhob Moni seine Stimme wieder und sang, daß es von den Bergen widerhallte:
“Dort droben in den Tannen
Singen die Vögel im Chor,
Und hat’s eine Weile geregnet,
Kommt die Sonne wieder vor.”
“Heute muß er mir einmal sein ganzes Lied singen”, sagte Paula, denn jetzt war Moni verschwunden, und sie konnte seinen fernen Gesang nicht mehr verstehen.
Am Himmel zogen noch die roten Morgenwolken dahin, und ein frischer Bergwind rauschte dem Moni um die Ohren, als er berganstieg. Das war ihm gerade recht. Vor Wohlbehagen jodelte er vom ersten Bergvorsprung so gewaltig ins Tal hinab, daß mancher Schläfer unten im Badehaus erstaunt die Augen aufschlug. Er machte sie aber gleich wieder zu, denn er kannte den Ton und wußte, daß er nun noch ein Stündchen Schlaf zugeben konnte, denn der Geißbub kam immer so früh. Inzwischen kletterte Moni mit seinen Geißen eine Stunde lang weiter und weiter hinauf, bis hoch zu den Felsen.
Immer weiter und immer schöner war es um den Moni geworden, je höher er hinaufkam. Von Zeit zu Zeit guckte er um sich,
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