Heidi und andere klassische Kindergeschichten
dann schaute er zu dem hellen Himmel auf, der nun immer blauer wurde. Dann fing er aus vollem Hals zu singen an, immer lauter und immer fröhlicher, je höher er kam:
Dort droben in den Tannen
Singen die Vögel im Chor,
Und hat’s eine Weile geregnet,
Kommt die Sonne wieder vor.
Und die Sonne und die Sterne
Und den Mond bei der Nacht,
Die hat der liebe Gott uns
Zur Freude gemacht.
Im Frühling gibt’s Blumen,
Die sind gelb und sind rot,
Und so blau ist der Himmel,
Und ich freu mich fast zu Tod.
Und im Sommer gibt’s Beeren,
Und geht’s gut, so gibt’s viel,
Und die roten und die schwarzen,
Eß ich alle vom Stiel.
Hat’s im Hag wieder Nüsse,
So weiß ich wie’s tut,
Wo die Geißen gern nagen,
Sind die Kräutlein auch gut.
Und im Winter bin ich fröhlich,
Weil’s Weinen nichts nützt,
Und weil ihm sowieso der Frühling,
Auf den Fersen schon sitzt .
Jetzt war die Anhöhe erreicht, wo er gewöhnlich blieb und sich auch heute ausruhen wollte. Das war eine kleine, grüne Hochebene mit einem so weiten Vorsprung, daß man von dem freien Punkt ringsumher und weiter, weit ins Tal hinabsehen konnte. Dieser Vorsprung hieß die Felsenkanzel, und hier konnte Moni oft stundenlang verweilen und um sich schauen und vor sich hin pfeifen, während seine Tierlein ganz gemütlich ihre Kräuter suchten.
Sobald Moni angekommen war, nahm er seinen kleinen Proviantsack vom Rücken und legte ihn in eine kleine Höhle des Bodens, die er selbst dafür gegraben hatte. Dann trat er auf die Felsenkanzel hinaus und warf sich auf den Boden, um sich einmal so recht wohl sein zu lassen.
Der Himmel war jetzt dunkelblau geworden. Drüben waren die hohen Berge mit den in den Himmel ragenden Zacken und großen Eisfeldern zum Vorschein gekommen, und unten leuchtete weithin das grüne Tal im Morgenglanz. Moni lag da, schaute umher, sang und pfiff. Der Bergwind kühlte ihm das warme Gesicht, und hörte er einmal zu pfeifen auf, so pfiffen die Vögel über ihm noch viel lustiger und flogen in den blauen Himmel hinauf. Der Moni fühlte sich unbeschreiblich wohl. Von Zeit zu Zeit kam das Mäggerli zu ihm und strich ein wenig mit seinem Kopf über Monis Schulter, wie die Geiß es immer tat. Dann meckerte es ganz liebevoll, ging auf die andere Seite von Moni und strich wieder den Kopf über seine Schulter. Auch von den anderen Geißen kam bald diese, bald jene, um nach dem Hirten zu sehen, und jede hatte ihre eigene Weise, ihm ihre Zärtlichkeit zu zeigen.
Die Braune, seine eigene Geiß, kam zu ihm und schaute nach, ob auch alles mit ihm in Ordnung sei. Sie stand dann da und schaute ihn an, bis er sagte: “Ja, ja, Braunli, es ist schon recht, geh nur wieder zum Futter.” Eine Geiß hieß die Schwalbe, weil sie so schmal und flink war und überall hineinschoß, wie die Schwalben in ihre Löcher. Sie sprang so ungestüm auf den Moni los, daß sie ihn wohl umgeworfen hätte, wäre er nicht schon auf dem Boden gelegen. Gleich darauf lief sie wieder davon.
Die glänzende Schwarze, die Geiß des Wirts im Badehaus, Mäggerlis Mutter, war ein wenig stolz. Sie kam nur auf ein paar Schritte Entfernung heran, schaute mit erhobenem Kopf zu dem Moni hin, als wollte sie sich nicht zu vertraulich zeigen und ging dann wieder ihrer Wege. Der große Sultan aber, der Bock, zeigte sich immer nur einmal und drückte dann alle weg, die er in Monis Nähe traf. Dann meckerte er einigemale so bedeutungsvoll, als habe er Mitteilungen abzugeben über den Zustand der Herde, als deren Anführer er sich fühlte.
Nur das kleine Mäggerli ließ sich niemals von seinem Beschützer verdrängen. Wenn der Bock kam und wollte es wegdrücken, so kroch es so tief unter Monis Arm oder Kopf, daß der große Sultan nicht wagte, näher zu kommen. Unter Monis Schutz fürchtete sich das Zicklein auch kein bißchen mehr vor dem Sultan, vor dem es sonst erzitterte, wenn es in seine Nähe kam.
So war der sonnige Morgen vergangen. Moni hatte schon sein Mittagessen verzehrt und stand nun nachdenklich auf seinen Stecken gestützt, den er hier oben öfters brauchte. Denn er war ihm beim Auf-und Abstieg eine große Hilfe. Er dachte nach, ob er eine neue Seite der Felsen besteigen wollte. Denn an diesem Nachmittag wollte er mit den Geißen höher hinauf, die Frage war nur, nach welcher Seite? Er entschied sich für die linke, denn dort ging es zu den drei Drachensteinen, um die herum so zartes Buschwerk wuchs, daß es ein wahres Festessen für die Geißen war.
Der Weg war steil, und oben
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