Heidi und die Monster
Herrschaft bestimmt einen Handel geschlossen hatte, unerwartet gelegen.
»Bring sie, wem du willst«, antwortete er, um äußere Ruhe bemüht. »Von der Abmachung aber will ich nichts wissen.« Ein Seufzer beugte den Rücken des Alten, gab er doch das Allerliebste hin, das ihm in späten Jahren geschenkt worden war.
»Ja, wie denn?«, antwortete die verblüffte Dete, die mit mehr Widerstand gerechnet hatte. »Soll’s mitnehmen? Mitnehmen und jetzt gleich?«
»Nimm’s und verdirb’s!«, keuchte der Öhi. Tränen der Wut und des Schmerzes sprangen ihm in die Augen. »Komm mir aber nie mehr vor die Augen mit dem Federhut auf dem Kopf und der gierigen Lüge im Herzen!« Mit schleppendem Schritt wollte er zur Tür, da stand Heidi; keiner hatte es kommen hören.
»Du hast den Großvater bös gemacht.« Das Kind sah die Tante wenig freundlich an.
»Er wird schon wieder gut«, versetzte sie. »Er meint’s nicht so.« Erleichtert sah sie, wie der Alte in den Schnee hinausstapfte. »Wo sind deine Kleider?«
»Ich komme nicht mit.« Heidi blitzte aus seinen Augen.
»Was sagst du?«, fuhr die Tante sie an. »Du wirst es so gut haben, wie du gar nicht weißt. Setz dein Hütchen auf und mach, dass wir fortkommen.«
»Ich tu’s nicht!« Heidi stampfte.
»Sei nicht störrisch wie die Geißen«, drängte Dete. »Der Großvater will ja, dass du mit mir gehst. Jetzt musst du ihn nicht noch böser machen. Du weißt nicht, wie schön es in
Frankfurt ist und was du alles sehen wirst. Aber gefällt es dir trotzdem nicht, kannst du wieder heimgehen, das verspreche ich dir, und bis dahin ist der Großvater dann wieder gut.«
Heidi bedachte sich. »Kann ich auf der Stelle wieder umkehren und heimkommen, wenn’s mir nicht gefällt?«
»Aber ja!« Dete nahm das Bündelchen Kleider auf den Arm, das sie im Schranke fand.
»Noch heute Abend?«
»Aber ja, komm jetzt! Wir gehen nach Maienfeld hinunter, dort nehmen wir die Eisenbahn, mit der bist du im Augenblick wieder daheim, wenn du magst, denn das geht wie geflogen.« Sie reichte dem Kind ihre Hand, und als es noch zauderte, packte die Tante fest zu. So ging es in den Schnee hinaus, wo der Alte unter den Tannen stand, mit hängenden Armen, die waren so schwer wie der Fels. Vor Gram und Sprachlosigkeit vermochte er sich nimmer zu regen.
»Großvater!«, schrie das Kind und brach in Tränen aus. »Ich will nicht! Großvater, ich bleib!«
Der Alte aber, unfähig, ein Wort zu sagen, zeigte stumm die Alp hinunter, wo das Dörfli lag und dahinter, im Nebel verborgen, Maienfeld mit seiner Bahnstation.
»Willst du wirklich, dass ich’s mir anschau, Großvater?«, rief das Kind, von der Tante unerbittlich fortgezerrt.
Der Öhi nahm all seine Kraft zusammen und nickte ein einziges Mal.
»Dann beseh ich mir also Frankfurt!« Heidi stolperte weiter, über die Schulter rief es zurück: »Und wenn ich’s gesehen, komm ich wieder! Gleich heute Abend, Großvater, gleich heute Abend!«
Heidi verlor den alten Mann aus dem Blick, an Detes Seite ging es den Berg und das Schneefeld hinunter, nur noch die weiße Kuppe und das Dach der Almhütte waren zu sehen.
Oben, zwischen den sturmgebeugten Tannen, brach der Alte in ein Weinen aus, mit dem er all seine Hoffnungslosigkeit hinausschrie und die Gewissheit, das geliebte Kind in diesem Leben nicht wiederzusehen.
Unterhalb der Kuppe richtete der Geißenpeter sich auf. Da noch nicht Weidezeit war, hätte er in der Schule sein müssen, aber heute machte er Ferien, denn die Schule nützte ihm nichts, und das Lesen konnte man zu nichts brauchen. Aber schöne Haselruten brauchte man, darum war er in die Höhe gestiegen, solche zu schneiden. Da sah er Heidi an der Seite der aufgeputzten Tante den Hang heruntereilen.
»Wo willst du hin?«, rief der Geißbub.
»Ich muss nach Frankfurt mit der Tante«, gab Heidi zurück.
»Kommst du mit, Haselruten schneiden?«
»Kann ich noch Ruten schneiden?«, fragte es Dete.
»Unsinn, es ist viel zu spät. Du kannst Ruten schneiden, wenn du wiederkommst.« Stramm zog sie Heidi weiter.
»Heut Abend bin ich wieder da!«, schrie Heidi. »Dann zeigst du mir deine Ruten!«
»Heut Abend also!« Der Geißenpeter winkte ihr mit dem Bündel zu. Dann stieg er über einen entleibten Niänenüütli hinweg und schaute so lange ins Tal, bis er die beiden, zu schwarzen Punkten im Schnee geschrumpft, vollends entschwinden sah.
Kapitel 8
Wie sehr die Pestilenz im Land gewütet, konnte nur ermessen, wer sich der Gefahr
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