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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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nicht länger wegen jeder Äußerung Heidis erregte, blieb im Gesamten doch Aufregung im Hause, und der Grund war meistens das Kind aus den Alpen.
    Heidi kam nun in den Genuss des Abc-Unterrichts, brachte allerdings die Buchstaben arg durcheinander, da jedes Zeichen sie an etwas Bestimmtes aus der Bergwelt erinnerte. So
unterbrach das Kind den Kandidaten, der beim Erklären einer Form als Vergleich etwa von einem Schnabel oder einem Horn sprach, und rief mit Freude aus: »Das schaut aus wie eine Geiß!« oder »Es ist ein Raubvogel« oder »Das K kenn ich, das ist die Hobelbank vom Großvater!«
    Das Aussehen der Buchstaben weckte in ihm alle möglichen Vorstellungen, nur kein Verständnis für die Schrift. Auch wenn Heidi dem Kandidaten seine Aufgabe dadurch schwer machte, wurde Klara ungemein vergnügt und langweilte sich nie mehr während des Unterrichts. Die Mädchen verbrachten auch die Nachmittagsstunden miteinander, in denen Klara früher oft traurig ihr unglückliches Schicksal bedacht hatte. Heidi erzählte voll Inbrunst von der Alm, bis das Verlangen, dorthin zurückzukehren, so brennend wurde, dass es in großem Ernst versicherte: »Nun muss ich aber los und heimgehen.«
    Klara beschwichtigte die neue Freundin dann mit den Worten: »Bleib wenigstens so lange, bis mein Vater aus Berlin zurück ist. Ich habe ihm von dir geschrieben, er will dich kennenlernen.«
    Wurde Heidi alsdann wieder ruhiger, half ihm auch die fröhliche Aussicht, dass sich mit jedem Tag, den es blieb, die Brötchen für die Großmutter mehrten; denn mittags und abends lag immer ein schönes Weißbrot neben seinem Teller, das steckte es ein.
    Draußen wurden die Lüfte milder, der Schnee schmolz, dass es von Dächern und Traufen, den Eisengeländern und Fuhrwerken tropfte. Die wärmere Jahreszeit hatte zur Folge, dass sich in der großen Stadt die Gerüche regten, das waren üble Frühlingsvorboten. Nun trat die Verwesung zutage, die
während der kalten Monate eingefroren gewesen war. Auf den Straßen stank es elendiglich, sodass die Damen nur mit Tüchlein vor der Nase ins Freie traten, die waren mit Kölnischwasser getränkt. An Stellen, wo der Schnee sich zurückzog, sah man Leichen auftauchen; eingehüllt vom Eis hatten sie sich unversehrt erhalten. Kaum aber warf die Frühlingssonne ihre Strahlen auf sie, wandelte sich das Fleisch zur Anatomie des Grabes. Allerorts flossen die Körper auseinander, Eingeweide wurden freigelegt, wozu das Heer der Würmer das Seinige beitrug.
    An den schmucksten Plätzen Frankfurts wurden die Menschen sich bewusst, dass Leben nichts anderes bedeutete als Sterben. Unsauberkeit und Brutstätten exkretorischer Fäulnis schlugen den Passanten entgegen, die Beseitigungsinstitute wussten kaum noch, wie sie der Aufgabe Herr werden sollten. Meist nahm man sich nicht mehr die Zeit, festzustellen, wer die Persönlichkeit hinter dem wuchernden Fleisch gewesen war; ohne Unterschied von Reich und Arm wurden sie verscharrt. Leichenfledderer ließen es sich nicht nehmen, die Kadaver nach Habseligkeiten abzugreifen, und so sah man arme Teufel in kostbarem Schuhwerk herumlaufen, einer trug eine Uhr an der Kette, die er aus dem madenbewohnten Brustkorb eines Toten ausgegraben hatte.
    Im Frühling war es fast unmöglich, unbelästigt vom Tod durch Frankfurts Straßen zu gehen, weshalb es Kindern untersagt wurde, draußen zu spielen. Als Heidi daher gezwungen war, täglich auf seinem Zimmer zu sitzen und sich vorzustellen, wie daheim die Alm grünte, wie die gelben und roten Blümchen im Sonnenschein glitzerten und alles ringsum in der Sonne leuchtete, konnte das Kind es nicht länger aushalten
vor Verlangen und erinnerte sich, dass Dete versprochen hatte, es könne heimgehen, wann es wolle.
    Darum packte Heidi eines Vormittags all seine Brötchen in das rote Halstuch, setzte sein Strohhütchen auf und wollte ausziehen aus Frankfurt. Als es den Schrank öffnete, entdeckte es das Rattenkind. Das Kissen, auf dem es wohnte, war mittlerweile zerbissen und verfärbt von den Ausscheidungen der Ratte. Durch Heidis liebevolle Fütterung hatte das Kleine gut Gewicht gewonnen, war aber noch zu klein, die hohe Schwelle des Schrankes zu überspringen.
    »Was mache ich nun mit dir?«
    Das Tier hatte Zutrauen zu dem Kind, es schnupperte, dass die Barthaare zitterten und sein langer Schwanz sich aufgeregt schlängelte.
    »Hast du Lust, die Alp zu sehen und den Großvater kennenzulernen?« Ohne lang zu überlegen, hob Heidi das

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