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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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werfen.
    Sebastian brachte unaufgefordert Limonade ins Studierzimmer. Tante Dete kam aus der Küche, scheinbar um Fräulein Rottenmeier den Menüplan vorzulegen, in Wirklichkeit musterte sie den Hauslehrer aufmerksam. Selbst Tinette, die in ihrem wahren Beruf viele Männer kennengelernt hatte, zögerte nicht, durchs Schlüsselloch zu spähen. Dete stand gleich dahinter.
    »Gut gewachsen ist er, mit feurigen Augen«, sagte sie. »Was tut er gerade?«
    »Er lässt sich von Sebastian ein Waschbecken reichen.«
    »Ja, wozu das?«, fragte Dete neugierig.
    »Er wäscht sich die Hände.« Tinette stand gebückt, das Hinterteil in der Luft, und kniff ein Auge zu, um besser sehen zu können. »Er trocknet seine Hände ab. Sebastian verbeugt sich … Er kommt!« Sie fuhr vor dem Schlüsselloch hoch, Handtuch und Becken auf dem Arm, trat Sebastian heraus. Die Frauen bemühten sich, arglos zu wirken.

    »Er erklärt den Mädchen, dass die Ratte ein Schädling ist, der Krankheiten überträgt«, befriedigte Sebastian die Neugier der beiden. »Er benutzt das Vieh zu Anschauungszwecken.«
    »Eine Ratte im Haus?« Ungläubig schlug Dete die Hände zusammen. »Und die Rottenmeier lässt das zu?«
    »Es ist wirklich kaum zu glauben.« Sebastian wandte sich zu Tinette. »Vor ein paar Tagen musste ich den Kammerjäger rufen, bloß weil sie eine einzige Motte im Kleiderschrank entdeckt hat. Und jetzt sitzt sie still und lauscht, wie er über Ratten doziert.«
    Genau so war es. Fräulein Rottenmeier saß auf ihrem angestammten Platz, der Kandidat schritt vor den Mädchen auf und ab.
    »In manchen Ländern symbolisiert die Ratte blühendes Gedeihen und Wohlstand. Die Inder zum Beispiel sagen, als Buddha die Tiere segnete, war die Ratte aufgrund ihrer Schläue die Erste in der Reihe. Wollt ihr wissen, wieso?«
    Und ob sie es wissen wollten. Heidi war sicher, dass niemand außer dem Großvater so spannend zu erzählen verstand wie der neue Lehrer.
    Mit Klara ging eine sonderbare Verwandlung vor sich. Sonst saß das magere Mädchen anämisch in seinem Stuhl. Auch wenn es ordentlich gewaschen und angezogen war, kümmerte es sich wenig um sein Äußeres, daher sah sein Haar fettig, seine Haut unrein aus. In den Minuten, seit der Professor ins Studierzimmer gekommen war, hatte Klara ihre Bluse zurechtgezupft, das lange Haar mit einer Spange gebündelt und saß, gespannt wie ein Flitzbogen, aufrecht da. Sie folgte jeder Bewegung des Lehrers, indem sie den Rollstuhl hin und her wandte.

    »Die Ratte soll sich der Sage nach an den Schwanz eines Bullen gehängt haben. Der Stier trabte zu Buddha, blieb vor ihm stehen und beugte demütig den Schädel. Da rannte die Ratte behende über Rücken und Hals des Bullen und fiel Buddha direkt in die segnenden Hände.«
    »So eine schlaue Ratte!«, rief Heidi und gluckste vor Lachen.
    »Im Osten wird sie als heiliges Tier verehrt.« Marus tätschelte Heidis Wange. »Sie steht für Weisheit und göttliches Wissen.«
    »Gibt es sonst Tiere, denen außergewöhnliche Fähigkeiten zugeschrieben werden?« Klara rückte im Stuhl vor, sie wünschte sich, auch von dem Kandidaten gestreichelt zu werden.
    »Gewiss. Habt ihr mit eurem bisherigen Lehrer die Fabeln von La Fontaine gelesen?«
    »Niemals«, antwortete Klara und reckte den Kopf.
    Ohne ihr übers Haar zu streichen, ging Marus vorbei und weiter zum Vogelkäfig, in den er das Rattenkind gesperrt hatte. »Wir wollen es in Bälde nachholen. Heute muss ich euch ermahnen, dass ihr im Umgang mit Ratten vorsichtig seid. Da ihr Magen auch verfaulte Kost verdaut, kommen sie häufig in Berührung mit Toten.« Er hob den Finger. »Ratten übertragen den Erreger der Fäule, der für Menschen so gefährlich ist!«
    Fräulein Rottenmeier nickte beifällig, dieser Hauslehrer war nach ihrem Geschmack. Er verband bildhaftes Anschauungsmaterial mit praktischen Lebensratschlägen. Die Aufregung über die Widerlichkeit des Nagetiers hatte bei ihr der Erleichterung Platz gemacht, was für ein Glück es war, dass dieser
junge Studierte in ihr Haus gekommen war. Sogar das Fräulein, das bereits heimlich die Vierzig überschritten hatte, fühlte sich in seiner Gegenwart wie ein junges Mädchen. Sie kicherte, hielt vergnügt ihr Taschentuch vor den Mund und fand, dass sie seit langem keine so kurzweilige Stunde durchlebt hatte.
    »Sprecht uns mehr von Tieren!«, rief Klara.
    »Ein kluger Vorschlag«, antwortete der Professor. »Von jeder Kreatur lässt sich trefflich lernen, oft mehr

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