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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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nur in einen blauen Nebel und in Erscheinungsformen verschiedener Tiere zu verwandeln, er war auch Herr über sein Alter. Da Marus weder tot noch lebendig war, gab es kein Alter für ihn; er pendelte zwischen Existenz und Nichtexistenz und konnte sowohl uralt als auch blutjung erscheinen. Heute hatte er eine junge Gestalt gewählt, ein Jüngling, der gerade ins Mannesalter kam: Das schien ihm für die Anstellung als Kandidat das Entsprechende.
    Ungehalten über das trotzige Almenkind lief die Rottenmeier die paar Stufen hoch und riss Heidi sein Bündel aus der Hand. »Hast alles eingepackt, ja was denn?« Schon ging der Knoten auf, mit Gepolter rollten die steinharten Brötchen zum Treppenabsatz hinunter. Damit nicht genug, tauchte etwas Lebendiges in dem Tüchlein auf, das sprang vor Schreck in die Tiefe und hoppelte unter Fräulein Rottenmeiers Röcke.
    »Zu Hilf! Jesus, Maria und alle Heiligen!«, kreischte das Fräulein und versuchte die gebauschten Stoffe zu bergen, als ob sie ein Segel einholte. Ihre geknöpfelten Stiefeletten kamen zum Vorschein und darüber die schwarzen Strümpfe.
    »Eine Rattenvieh!«, schrie sie. »Errettet mich vor den Ratten!«

    Obwohl durch das Geschrei die Dienerschaft zusammenlief, der große Trojan, die hübsche Tinette, Sebastian, sogar Tante Dete aus ihrer Küche, war keiner von ihnen in der Lage, der vor Angst Jaulenden beizustehen. Die Ratte hatte sich unter den Röcken verborgen und wagte sich bei all dem Getanze und Gespringe nicht wieder hervor.
    Der fremde Herr blieb die Ruhe selbst, bückte sich und zischte etwas zwischen den Zähnen hervor. Da geschah das Unglaubliche: Als ob sie von ihm gerufen worden sei, ließ die Ratte von Fräulein Rottenmeier ab, sprang aus den Röcken hervor und lief auf den Mann in Schwarz zu. Ohne zu zögern, hüpfte es in seine ausgestreckte Hand und schnupperte zu ihm hoch. Ratten sind nämlich niedrige Verwandte der Vampire, und wenn ein solcher ihnen etwas befiehlt, haben sie zu gehorchen.
    »Seht nur, Madame, es ist ein possierliches Tier, kaum ausgewachsen«, sagte Professor Marus. »Es wird Euch nichts zuleide tun.«
    »Ich danke Euch«, antwortete die Rottenmeier kreidebleich. »Doch bin ich keine Madame, sondern Fräulein geblieben.« Sie sortierte ihr Rockwerk und fasste hektisch an den Turm auf ihrem Kopf, ob etwas in Unordnung geraten sei.
    »Ich will mir’s merken.« Marus nahm den Hut ab. »Wenn Ihr mir jetzt meine Schützlinge vorstellen wollt?« Ohne die Ratte aus der Hand zu geben, ohne sich über die harten Brötchen am Treppenabsatz zu wundern, ging er zu Heidi hinauf, nahm seine kleine Hand und stieg mit dem Kind in den ersten Stock, wo Klara, angelockt durch den Lärm, im Rollstuhl saß und den Ankömmling neugierig musterte.

Kapitel 14

    So hatte noch keine Unterrichtsstunde im Hause Sesemann begonnen. Ein junger Kandidat, der Ratten zähmte und es zustande brachte, dass die Gouvernante, die sonst an allem und jedem etwas zu mäkeln hatte, beeindruckt dem Lauf der Dinge folgte - das war wie ein Zauber, der durch die Räume geisterte, und jeder im Haus spürte ihn.
    Niemand ahnte, dass das Erscheinen des Professors einer dunklen Wolke glich, die sich über Frankfurt schob. Der untote Meister hatte die Saat des Bösen schon in vielen Gegenden gestreut, war in Wien als Graf aufgetreten und hatte ein Mitglied des Kaiserhauses gebissen, hatte in Venedig in Gestalt eines Cavaliere Leidenschaft und Schrecken unter die Bürgerschaft gebracht und sogar an den Ufern des Mittelmeeres gewütet. Ihm verdankte Neapel seine uneindämmbare Rattenplage.
    In Frankfurt hielt Marus sich zum ersten Mal auf. Bei der düsteren Macht, die der Vampir besaß, war es merkwürdig, dass ausgerechnet ein schutzloses Kind der Grund für seinen Besuch war. Ein achtjähriges Mädchen hatte den Meister
angelockt, das nicht wusste, wozu der Uuputztä imstande war, welches Grauen und Verderben er über die Menschen bringen konnte. Als seien die bedauernswerten Frankfurter, in deren Straßen die Wiederkehrer umgingen, vom Schicksal nicht schon genug bestraft, rückte der dämonische Blutsauger, dessen Wirken hundertmal heimtückischer war, in ihre Mauern ein.
    Davon war im Haus Sesemann nichts zu spüren. Gleich einem frischen Wind belebte das Erscheinen des neuen Kandidaten die Villa. Binnen Minuten hatte sich herumgesprochen, dass ein ungewöhnlicher Mann die Mädchen von nun an unterrichten würde, und jeder wollte einen Blick auf Herrn Marus

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