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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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begannen.

Kapitel 12

    Heidi lief die Straße hinunter in der Erwartung, das zu sehen, was es vom Studierzimmer aus gehört hatte. Am Ende der Straße war nichts zu entdecken, also ging es in eine andere Straße und weiter und immer weiter, und doch fand es nicht, was es sich vorgestellt hatte. Denn es war nur das Rollen von Wagen und Kutschen gewesen, was Heidi vernommen hatte; in seinen Ohren hatte es ähnlich geklungen wie das Tosen des Föhns in den Tannen vor Großvaters Hütte. In höchster Freude war es dem Ton nachgerannt.
    Da sah es an der nächsten Ecke einen Jungen stehen, der hatte keine Schuhe an den Füßen, aber einen dicken Schal vor dem Mund. Reglos stand er im Schnee.
    »Ich habe die Tannen rauschen gehört.« Mit diesen Worten trat Heidi auf ihn zu. »Aber ich weiß nicht, wo sie stehen, und jetzt höre ich sie nicht mehr.« Es zeigte enttäuscht in alle Richtungen.
    »Waf ffind Tannen?«, fragte der Junge. Es war ihm nicht möglich, ein S auszusprechen; den Grund dafür konnte Heidi hinter dem Tuche nicht sehen.

    »Tannen sind Tannen«, antwortete es kopfschüttelnd. »So wie Fichten Fichten und Himmelsschlüssel Himmelsschlüssel sind.«
    »Himmelfflüffel?« Verständnislos betrachtete der Stadtjunge das Kind vom Land.
    »Wo ist der Turm mit der goldenen Kugel?«, erkundigte sich Heidi.
    »Weiff nicht.«
    »Wen kann ich fragen, wo er sei?«
    »Weiff nicht.«
    »Weißt du eine andere Kirche mit einem hohen Turm?«
    »Freilich.«
    »So komm und zeig sie mir!«
    »Waf gibft du mir dafür?« Der Junge hielt seine Hand auf.
    Da erschrak Heidi. Die Hand fehlte nämlich zum Teil, man sah die dünnen, blanken Knöchelchen, wo früher Finger gewesen waren. Heidi wollte sich den Schreck nicht anmerken lassen, darum fragte es: »Warum stehst du mit nackten Füßen im Schnee? Hast du keine Schuhe?«
    »Ich hab kein Gefühl mehr in den Beinen«, antwortete der Junge. »Darum hat mein Vater mir die Ffuhe weggenommen. Er ffagt, ich brauch ffie nicht mehr.«
    »Was ist das mit deiner Rede?«, wollte Heidi wissen.
    Er zog den Schal enger vors Gesicht. »Komm, der Turm ifft nicht weit.«
    Die beiden wanderten eine Strecke, der Junge ging mit staksenden Schritten, als ob er die Füße nicht spürte, mit denen er auftrat.
    »Da«, sagte er schließlich. Und wirklich hielten sie vor
einer alten Kirche mit einem hohen Turm; beides sah recht baufällig aus.
    »Was soll ich dir jetzt geben?«, fragte Heidi.
    »Geld.«
    »Ich hab keins.«
    »Nur ein paar Pfennige.«
    »Ich werde Klara bitten, mir etwas zu geben, das bekommst du.« Heidi entdeckte die Pforte, wo es zum Kirchturm hinaufging. Ein Blechschild schwankte im Wind, darauf stand: Einsturzgefahr! Turmbesteigung verboten. Da Heidi aber gerade seinen ersten Abc-Unterricht verpasst hatte, konnte es die Warnung nicht lesen. Die Tür war versperrt und mit Balken verrammelt, doch befand sich der Turm in so schlechtem Zustand, dass ein Teil der Mauer neben der Pforte eingesunken war.
    »Da geht’s hinauf!«, lachte es und war bereits in die Öffnung gekrochen. »Komm mit!«, rief es zurück.
    Der Junge fasste sich ein Herz und kletterte hinterher. Es ging viele, viele Stufen hinauf, Heidi rannte zuerst, dann schnaufte es heftig und stieg langsamer. Oben wurde der Turm schmaler, so auch die Stufen, und endlich ging es nur noch über ein enges Treppchen weiter, darüber schimmerte Licht, das war der Glockenturm. So neugierig Heidi auch war, wartete es auf seinen Begleiter; der mühte sich unten die Treppen hoch.
    »Wie kann man so langsam sein?«, rief Heidi und blieb ungeduldig stehen, bis der Junge heran war. Mit letzter Kraft schleppte er sich herauf, schwankte gegen die Mauer und musste sich festhalten. »Gleich sind wir oben!« Heidi stürmte die letzte hölzerne Treppe hinan.

    Das war nun ein Ausblick, wie er mit dem eines Berges vergleichbar war, und doch fand Heidi nichts so, wie es gemeint hatte. Heidi sah auf ein Meer von Dächern, Türmen und Schornsteinen. Sie lief in der Turmstube im Kreis und schaute überall hinab, bald aber zog es den Kopf zurück und wurde ganz niedergeschlagen. »Es ist nicht da. Es ist alles nicht da!«
    Auch der Junge hatte den letzten Anstieg geschafft. Erschöpft sank er zu Boden, dabei rutschte der Schal von seinem Gesicht und legte die traurige, unumstößliche Wahrheit frei.
    »Oje«, entfuhr es Heidi. »Bist du zu einem Niänenüütli umgewandelt?«
    Er wusste nicht, was ein Niänenüütli war, verstand aber, was Heidi

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