Heidi und die Monster
immer neuen Fragen bedrängt. Selbst das Fräulein, das Heidi sonst nur verkniffen kannte, war fröhlich und umgänglich gewesen und hatte Heidi sogar einmal die Schulter getätschelt. Dieses Wunder war einzig dem fremden Herrn zuzuschreiben; in ihrem Nachtgebet dankte Heidi ihm dafür.
Hätte es den wahren Grund für Professor Marus’ Aufenthalt gekannt, es hätte ihn nicht so inbrünstig in sein Gebet aufgenommen. Der Untote war mittlerweile in die Mansarde gezogen, die er eng und niedrig, aber durchaus nicht ungemütlich fand. Es hatte ihn Geduld gekostet, Fräulein Rottenmeier hinauszukomplimentieren, die nicht aufhören wollte, sich zu erkundigen, ob alles nach seinen Wünschen wäre.
»Ist alles nach meinen Wünschen«, lächelte Marus, als er allein war. Mühelos hatte er sich Zugang ins Haus und in Heidis Nähe verschafft. Es wäre ihm nun ein Leichtes gewesen, aus dem lebenshungrigen Alpenkind über Nacht eine Uuputztä zu machen. Ein einziger Biss hätte die Verwandlung von Heidis Blut bewirkt. Die guten roten Blutzellen hätten sich in ihre teuflischen Gegenspieler verwandelt, und spätestens zum nächsten Vollmond wäre Heidi ein perfektes Vampirkind geworden. Das wäre dem Professor zu einfach gewesen; eine Achtjährige in seine Gewalt zu bringen bedeutete keine Herausforderung für ihn. Der grausame Vampir hatte das Ziel, Heidi auf eine Weise in seinen Bann zu schlagen, die sie der Menschenwelt für immer wegnehmen würde: Er wollte ihr Herz gewinnen. Es sollte dahin kommen, dass Heidi ihn so innig liebte, dass sie für ihn jedes
Opfer zu bringen bereit war. Erst danach würde er sie durch einen Biss zu seiner Gefährtin machen. Professor Marus hatte es also nicht eilig. Frankfurt gefiel ihm, die Stadt war fest im Bann der Todesmacht, und auch wenn er auf die primitive Brut der Zombies herabsah, fühlte er sich an einem Ort, wo kein Mensch seines Lebens sicher war und schreckliche Angst die Tage und Nächte regierte, ungemein wohl.
Auch Haus Sesemann bot manche Vergnügung für ihn. Er hatte gewittert, dass das Weiberblut in der Villa sich in Unruhe befand. Es lebten Sehnsüchte, Hoffnungen, Lüste und Begehrlichkeiten in diesen Mauern, die durch Sitte und Konvention zwar unterdrückt, mit wenig Anstrengung aber zum Ausbruch gebracht werden könnten. Der Vampir roch Gefühle, weil er Blut roch und sich jede menschliche Regung im Blut manifestiert. Das Blut, das schon dem ersten Weib Eva als Erbsünde anhaftete, sollte auch den Weibern dieses Hauses zum Verhängnis werden. Noch diese Nacht wollte der Vampir damit beginnen.
Und so hängte sich Professor Marus, wie es seine Art war, kopfüber ins Gebälk des Zimmers und wartete, dass die Nacht sich über der Stadt ausbreite.
Kapitel 15
Klara fuhr aus einem merkwürdigen Traum hoch. Sie hatte sich darin auf ihren eigenen Beinen fortbewegt. Das träumte sie öfter, diesmal aber hatte sie sich im Traum in ein Pferd verwandelt und war auf vier Beinen gesprungen, bis eine dunkle Gestalt ihr Einhalt geboten und sich mit einem kostbar verzierten Sattel genähert hatte. Das Silberzeug klirrte, als der Dunkle ihr den Sattel auf den Rücken legte und unter ihrem Bauche festschnallte. Bevor er aufsaß, war Klara erwacht.
»Es wird an den Tiergeschichten liegen, die ich heute gehört habe«, dachte sie, konnte den Traum aber auch nach Minuten nicht abschütteln. Sie hatte Durst, die Wasserkaraffe war leer, sie wollte um diese Zeit niemanden von der Dienerschaft wecken. Also schlug Klara die Decke beiseite und hob ihre Beine an den Bettrand, zog den fahrbaren Stuhl heran und manövrierte sich langsam und mühselig in ihr Gefährt. Als sie darin saß, war sie in Schweiß geraten; üblicherweise hob Sebastian sie in den Rollstuhl. Sie setzte die Karaffe auf ihren Schoß, rollte zur Tür und fuhr auf den dunklen Korridor hinaus.
Dass es außer in der Küche in noch einem Zimmer fließend Wasser gab, war einer Schrulle von Klaras Vater zu verdanken, der auf einer seiner Reisen im Palast eines muslimischen Sultans ein mit kostbaren Mosaiken gefliestes Bad gesehen hatte. Herr Sesemann, der die Armeen verschiedener Nationen mit Waffen belieferte, hatte Könige und Kurfürsten kennengelernt, in keinem der vielen Schlösser jedoch die Einrichtung eines Bades gefunden. Er wollte es dem Sultan gleichtun und hatte neben Klaras Zimmer einen hübschen Raum mit Marmorplatten verkleiden und eine Wanne sowie ein Waschbecken aus rosa Marmor setzen lassen.
Als Klara nun die
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