Heike Eva Schmidt
gesamten restlichen Ferien, und somit die ersten warmen Frühsommertage, in meinem Zimmer verbracht. Zusammengerollt in meinem Bett, darauf hoffend, dass der ziehende Schmerz in meinem Herzen endlich weniger wurde. Jakobs versteinertes Andenken trug ich ständig bei mir. Der Ammonit hatte die Zeitreise problemlos überstanden, aber schließlich waren diese Urzeittierchen gleichzeitig mit den Dinosauriern ausgestorben und bereits mehrere Millionen Jahre im Stein erstarrt, da konnte ihnen ein Zeitsprung von läppischen 300 Jahren wohl nichts mehr anhaben.
Die Rückkehr meiner Eltern half zwar nicht gegen den Liebeskummer, aber zumindest konnte ich mich nicht mehr so vollkommen hängenlassen. Zudem würde die gute Küche meiner Mutter verhindern, dass ich als wandelndes Röntgenbild in meine Klasse zurückgewankt kam, wenn in drei Tagen die Ferien vorbei waren.
Zuvor aber musste ich noch jemandem einen Besuch abstatten. Vor lauter Jakob-Vermissen hatte ich ganz vergessen, meine weißmagische Helferin Margret Hahn über den gelösten Fluch zu informieren. Mit schlechtem Gewissen schwang ich mich am Tag nach der Heimkehr meiner Eltern aufs Fahrrad. Heftig in die Pedale tretend, flitzte ich am Kanal entlang, an dessen Seite die Regnitz im Licht der Maisonne glitzerte, bis zum Zinkenwörth, wo das windschiefe Häuschen der alten Bambergerin stand. Aber wie es aussah! Seit meinem letzten Besuch schien der wilde Wein, der sich an der Fassade hochrankte, förmlich explodiert zu sein. Inzwischen hatte er fast das gesamte Fachwerk zugewuchert. Die Hauswand darunter wies Risse auf, und die vanillegelbe Farbe blätterte ab. Auch die Haustüre hatte gelitten: Ihre ehemals blassblaue Farbe schimmerte gräulich.
Irritiert tastete ich nach dem Türklopfer. Er fühlte sich so rau an wie eine Sandpapierfeile. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich orangebraune Spuren in meiner Handfläche. Der eiserne Ring war völlig verrostet. Verwirrt wich ich einen Schritt zurück und versuchte, durch eins der kleinen Fenster ins Innere des Hauses zu blicken. Aber die Scheibe war trüb und von außen mit Staub bedeckt. Langsam wurde mir die Sache unheimlich: War Margret Hahn ausgezogen? Am Ende war die alte Frau in meiner Abwesenheit erkrankt und in eine Klinik eingeliefert worden?
»Frau Hahn? Hallo – sind Sie da?«, rief ich und klopfte mit den Knöcheln dreimal gegen die verwitterte Haustüre.
Aber nichts rührte sich. Als ich gerade überlegte, ob ich einen Zettel hinterlassen sollte, ertönte hinter mir eine Stimme: »Zum wem wollen’s denn, junges Fräulein?«
Obwohl die Tonlage zu tief für eine Frau war, fuhr ich herum, voller Hoffnung, die alte Bambergerin zu sehen. Doch vor mir stand ein etwa 65-jähriger Mann in Latzhosen und Gummistiefeln, der besser zu »Bauer sucht Frau« gepasst hätte als hier in die Bamberger Innenstadt. In der Hand trug er eine Rosenschere. Ich musste ihn angestarrt haben wie ein Erdbewohner einen Marsmenschen, denn er legte den Kopf schief und musterte mich nachsichtig.
»Wenn’s die Frau Hahn suchen, werden’s kein Glück haben«, meinte er, aber es klang durchaus freundlich.
Ich hatte endlich meine Sprache wiedergefunden und lächelte den Gummistiefelmann entschuldigend an.
»Wann kommt sie denn wieder, die Frau Hahn?«, fragte ich höflich.
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Seine Augen, die in ein Netz aus unzähligen Fältchen eingebettet waren, trübten sich. »Die kommt gar nicht mehr, Kind. Die Margret ist vor genau einem Jahr gestorben«, sagte er traurig.
In meinen Ohren dröhnte es, als wäre ich aus Versehen mit dem Kopf zwischen die zwei Becken eines Hi-Hats gekommen und der Schlagzeuger hätte es nicht gemerkt. Unwillkürlich fuhr meine rechte Hand zu meiner Kehle, um die bis vor kurzem noch das magische Kupferhalsband gelegen hatte, dessen Fluch die alte Bambergerin vergeblich zu lösen versucht hatte. Meine Stimme klang ziemlich erstickt, als ich mühsam herausbrachte: »Sie ist … tot? Aber …« Den Rest des Satzes, »… ich habe sie doch vor ein paar Tagen erst besucht«, schluckte ich ungesagt hinunter. Der alte Mann hätte mir ja doch nicht geglaubt. Er musterte mich voller Mitgefühl.
»Das haben Sie nicht gewusst«, stellte er fest und seufzte. »Sie war zwar ein bisschen seltsam, die Margret, aber wenn ich als Nachbar mal was von ihr gebraucht hab, dann hat sie mir immer geholfen.«
Ich nickte nur, denn meine Kehle war immer noch wie zugeschnürt. Wieder hatte
Weitere Kostenlose Bücher