Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
nicht dadurch unterbrochen werden, daß die Flamme womöglich erlischt. Das wär’ dann eine Katastrophe, weil dann die Aufmerksamkeit in sich zusammenfalle wie ein nasser Sack. Und er warne eindringlich davor, die Kinder das Zündholz selber anstreichen zu lassen; wenn am nächsten Tag eine Scheune abbrennt oder ein Heuschober oder wie oder was, dann gebe das unangenehme Weiterungen.

    Während der Kollege aus Middelum also die Sachbegegnung vom Stapel ließ und dazu das Vorsprechen des Lehrers und das Nachsprechen der Kinder darbot, gestenreich und in schulmeisterlicher Langsamkeit:«… ich ho-le die Ker-ze aus dem Sack… dann stecke ich die Ker-ze in den Leuchter, danach bringe ich das Zündholz an die Reibefläche….», wozu er Kulleraugen machte. Während er das also demonstrierte und dabei die lieben Kollegen, schlachtenerprobt und trinkfest, mit seinen Schülern verwechselte, rückte der Uhrzeiger unbarmherzig weiter und weiter, auf den Armbanduhren und Taschenuhren der Lehrer war das zu verfolgen und auch an der Wanduhr, deren Pendel hurtig hin-und herschwang, und es war klar, daß der Kollege, wie gut er sich auch vorbereitet haben mochte, nicht zu Potte kommen würde mit seiner Aufsatzstunde, das wurde allen Beteiligten klar, und die Sorge verbreitete sich, daß dieser Mann da vorne, obwohl gestandener Lehrer, Hauptlehrer gar, überziehen werde?

    Als der Wirt die Schiebetür auseinanderzog und fragend den Vorsitzenden ansah, wann er das Essen bringen soll, riefen denn auch die allesamt miteinander befreundeten Lehrer dem Manne laut zu:«Noch fünf Minuten!»

    Der Rest der Zeit ging damit hin, daß der Kollege darauf hinwies, daß auf das Beobachten das Nachsprechen und sodann das Nacherzählen folgte und schließlich und endlich das Nachschreiben, wobei auf die rechte Schreibhaltung zu achten sei… Die älteren Jahrgänge in der Klasse könnten, das erwähne er nur nebenbei, unter Berücksichtigung der Höhenkonzentration statt ausschließlich von der Kerze auch vom Licht als solchem schreiben, vom Licht, das die Finsternis durchdringt, wozu einen Tag vorher im Religionsunterricht gehandelt werden könne oder müsse. Moses 1,3 oder Johannes 1,5.

    Dann öffnete sich auch schon die Schiebetür des Clubzimmers, und die traurig dreinblickende Schwiegertochter des Gastwirts, gefolgt von zwei drallen Mägden, kam herein, die das Essen brachten, von den Lehrern speichelrunterschluckend beobachtet, auf den Hintern gehauen hätte man sie gern, aber das war hier nicht angängig, obwohl’s denen vielleicht gefallen hätte, wer konnte das wissen?
    In dem nun allgemein entstehenden Wirrwarr trug der an seinem Thema so tragisch gescheiterte Mann aus Middelum lauthals noch eine Bitte vor. Die Kollegen glaubten ja gar nicht, wie viele teure Bücher er habe kaufen müssen, um diesen Vortrag halten zu können, und diese erheblichen Kosten bestimmten ihn, hier nun die Frage aufs Tapet zu bringen, ob der Lehrerverein der Börde Kreuzthal sich nicht daran beteiligen wolle?

    In diesem Augenblick rief einer der Kollegen laut:«Dornkaat? Finger hoch! – Malteser? Finger hoch!… »
    Es war das vom Lehrerverein ausgesetzte Honorar des Lehrers aus Middelum, das jetzt nach alter Sitte allgemein versoffen werden sollte.

    Dann stand auch schon das Essen auf dem Tisch, ein herrlicher Schweinebraten, fett und kroß, zerfallene Kartoffeln, dreierlei Gemüse, Gurkensalat in Essigmilch und eine Terrine Bratensoße, dazu wurde nach Bier gerufen und nach Schnaps, und ein fröhliches Schmausen begann. Lachen wallte auf, das – wenn der Witz gut war – in Krächzen und Raucherhusten überging. Herrlich, daß man mal unter sich war, ohne Schulrat und ohne Weiblichkeit. Obwohl«Egon»bei den Ortslehrervereinstagungen nichts zu suchen hatte, herrschte kein Zweifel, daß er alles erfahren würde, was hier so in die Gegend geschrien wurde.

    Nach der Zitronencreme wurde gerülpst, mehr oder minder diskret, und die Kartoffelkrümel wurden von der Bedienung mit der hohlen Hand vom Tisch gefegt. Weitere Dornkaats wurden geordert, Zigarren, Pfeifen und Zigaretten wurden in Gang gesetzt, jetzt käme der gemütliche Teil des Abends.
    Und dann erschien auch schon der in Sassenholz ansässige Schriftsteller, den man hatte verlocken können, sich hier über das kommerzielle Schreiben zu verbreiten. Das Buntglasfenster mit dem Sämann wurde per Knopfdruck von hinten erleuchtet, und dann konnte es losgehen.
    Der junge Autor, Alexander Sowtschick

Weitere Kostenlose Bücher