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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Erfrischungsraum auf, wo einer der Frohriep-Jünglinge den anderen Cocas ausgab und mit einem Zwanzigmarkschein bezahlte. Also schärfste Zurechtweisungen loslassen, die Geschäfte des Spendierjungen beenden und sie nach unten schaffen. Ohrfeigen hauen ging nicht, weil es Kinder aus Poggenreich waren, außerdem gab es hier keinen verschwiegenen Winkel, wo man das hätte abmachen können. Alle Welt setzte sich bereits zurecht, wie der Lehrer wohl mit den Kindern fertig wird.
    «Ich denke, Herr Frohriep wird noch mit euch sprechen wollen.»
    Unten war neue Aufregung zu bestehen. Da saßen die Kinder auf den Messingstangen in den Drehtüren und fuhren Karussell! – Kaum war hier Ordnung geschaffen, meldeten sich einige Mädchen tänzelnd zum«Austreten». An sich ja ganz vernünftig, das Unumgängliche in so einem großen Haus zu vermelden, statt auf der Straße. Aber nun finde mal einer bei Karstadt das Klo! Am Ende ward es gefunden, und es wurde ein Pendeldienst eingerichtet, damit sich auch die andern alle erleichtern konnten. Jeder hat schließlich das gleiche Recht.
    Wer seine Geschäfte hinter sich hatte, vergnügte sich inzwischen mit dem Fahrstuhl, den immerfort kommen lassen, und wenn die Tür aufgeht, ihn wieder auf die Reise schicken. So etwas hatten sie auch noch nie gesehen. Schnell war zu kapieren, wie man das macht.

    Ein großes Wundern gab es über den Knaben Rosenbrook, der hatte sich nämlich still verhalten und war gar nicht erst losgelaufen. Wo’s Babywäsche gibt oder Bettvorleger, das hatte er den Informationswegweisern entnommen, gleich neben dem Eingang, und hatte das da einfach abgeschrieben. – Frohriep fiel aus allen Wolken, und Matthias wies darauf hin, daß dieser Junge aus Klein-Wense stammt! Wie ein kleiner Gauß. Wie Gauß! Matthias Rosenbrook wurde zum Gauß von Klein-Wense erklärt, und Matthias trug ihm das in den Ausweis ein. Marmelspielweltmeister von Klein-Wense und Schlaumeier erster Sorte.

    Sodann wurde zum Hauptbahnhof marschiert, das war Frohrieps Hauptanliegen, denn er war ein Eisenbahn-Enthusiast.
    «Der Hauptbahnhof von Hamburg ist in jeder Kunstgeschichte abgebildet!»sagte er.
    Die einfahrenden und ausfahrenden Züge von der Bühne aus zu betrachten, die schweren Dampfloks, eine vorwärts, die andere rückwärts, und die stinkenden Dieselloks, und dazwischen flink und elektrisch die kleinen S-Bahnen, das alles wurde den Kindern gezeigt, und sie wurden gefragt, ob sie das sähen?
    Daß auch ein Güterzug durch den Bahnhof fuhr, wurde mit Befremden wahrgenommen, wenn da nun Reisende elegant und weltläufig auf dem Bahnsteig stehen, weil sie nach München reisen, im D-Zug erster Klasse, und da kommt dann so ein Güterzug, was die dann wohl denken!
    Was«S-Bahn»bedeutet, wurde geklärt: Zack! gehen die Türen zu, wer da seine Finger zwischenkriegt, der weiß Bescheid!

    Interessant war es, auf der Bühne des Hamburger Hauptbahnhofes zu stehen, und gewaltig, imponierend und fernweherzeugend. Frohriep bedauerte, daß es für Miniatureisenbahnen weder Elektrische noch S-Bahnen zu kaufen gab. Er habe schon so und so oft an die Firma Märklin geschrieben, ohne Erfolg! Wie dumm, daß diese Firma sich selbst das Wasser abgräbt! Er würde Matthias demnächst den Katalog zeigen, da könne er sich selbst davon überzeugen, daß die Weltfirma Märklin keine Straßenbahnen führt.

    Die beiden Kollegen hatten auch hier nur wenig Gelegenheit aufzuatmen. Ständig kamen Kinder an und fragten:«Dröff ick mi wat köpen? »- Am besten sofort«Ja!»sagen, sonst kommen sie nach fünf Minuten wieder. Im stillen bewunderte Matthias den Bauern Schnackenberg, der seinem Sohn die Teilnahme an dieser Tour verboten hatte:«Eine Bruse kann hei ok to Hus trinken.»Der Mann hatte Durchblick.

    Während sie da also standen und den Ansturm der Kinder abwehrten, belehrte Frohriep die Kinder und vor allem Matthias über die Herstellungstypen der verschiedenen Lokomotiven. Wieviel Achsen die haben und wie man sie bezeichnet, und ob es die jeweiligen Typen bei Märklin oder bei Fleischmann zu kaufen gibt.
    Ein Zug aus der Ostzone fuhr zischend und prustend ein, Stralsund! Gleich mal runterlaufen und mit dem Lokomotivführer sprechen. – Der Mann nahm unbeweglich zur Kenntnis, daß Matthias ebenfalls von drüben stamme, und als Matthias fragte, wie’s da so geht?, regulierte er seine Hebel, ob die auch alle richtig eingestellt sind, und blieb die Antwort schuldig. Spuckte er nicht sogar aus?

    Nachdem

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