Heile Welt
bißchen herum, und dann fragte er sich selbst, wieso er hier eigentlich kein Grundstück kauft, hier in Wense, als Stellplatz für den Caravan? Möglicherweise direkt am Fluß, und dann morgens früh gleich in die kühlen Fluten springen?«Darüber würde sich doch auch Omi freuen…»
Matthias begann sich auszusöhnen mit diesem verhunzten Tag, er fand es nun ganz hübsch, so dahinzugleiten, die beiden Kinder auf dem Schoß, denen er mit freundlicher Stimme angst machte und sie wohl auch ein bißchen an den Rand drängte, ob er sie mal ins Wasser stoßen soll…? Und während er den Kindern schlimme Geschichten erzählte, von Wasserleichen, die bleich unter der Oberfläche liegen, und keiner weiß, wer das ist, und um Mitternacht kommen sie herausgestiegen…, betrachtete er die stramme Frau seines Freundes, die Knie zusammengepreßt, der Oberkörper ziemlich schmal, ja klein gegenüber den unteren Bereichen, und Carla, wie sie da im Kahn steht und die Stange heraufzieht und wieder einsteckt, ein bißchen zu mager vielleicht, asketisch? Die gewaltigen Zöpfe zusammengesteckt, die schwarzen Vliese aus den Achselhöhlen sprießend? Und daß er so einen schönen«View»hier gar nicht erwartet hatte, die vorüberziehenden Wiesen, ein Pferd, das mitgaloppiert….
Als sie an der Kallroy-Villa vorüberfuhren, knallten dort die Türen, und eine Frauenstimme hörte man schimpfen.
Carla stoppte den Kahn und sagte, daß das eigentlich nicht nötig gewesen sei, daß Kallroy ins KZ gekommen wär’. Mit den französischen Kriegsgefangenen hätt’ er’s gehabt und einmal wohl auch Leute unterkriechen lassen ein paar Tage, und da habe eben irgend jemand im Dorf den Mund nicht gehalten… Man wisse bis heute nicht genau, wer da geplaudert hat…
Das Haus jetzt ziemlich verfallen, die Tochter kümmere sich um nichts. Vor dem Krieg sei es bunt bemalt gewesen, kreuz und quer, mit Dreiecken und Kreisen, das habe dann entfernt werden müssen, zur Nazizeit, weil es nicht in die Gegend paßte. Viel böses Blut. Sei ja auch’n bißchen doll gewesen.
Zum Abendbrot holte Matthias sein letztes Stück Landbrot hervor und die Butter aus dem Schrank, und dann wurde Carla rübergeholt, damit man die Sache mit dem Grundstück noch mal durchsprechen kann. Sie brachte den Hund mit, und dann saßen sie in der Dachkammer, wo es ja viel gemütlicher war als in der großen Wohnung unten mit den so sonderbar steifen Möbeln.
Auch Bier stand auf dem Tisch und Likör, und die Kinder wurden in den Wagen gepackt, wo sie sofort in tiefsten Schlaf fielen. Nach Cuxhaven konnte man ja morgen auch noch fahren, in aller Frühe, der Stellplatz dort sei ihnen sicher, vor zwei Monaten schon gebucht.
Und dann wurde gebechert, Bentwitsch erzählte, was Matthias für ein Held gewesen sei…
Der and’ re aber in der Ecke dort, der sieht die Nacht und wünscht sich fort.
So ging das Gedicht weiter, das fiel ihm jetzt ein, und daß Matthias ihm mal einen halben Kanten Brot geschenkt habe, in der düstersten Zeit, was ihm vorher und hinterher nie wieder passiert sei… Brot! Das muß man sich mal vorstellen!
Und er fragte auch diesmal nicht danach, was der Preis gewesen war für das Brot, aber Matthias dachte natürlich daran, der hatte das nicht vergessen.
Es wurde schummrig, und die Gemüter vernebelten sich. Zunächst saßen sie nebeneinander auf dem Bett, dann lagen sie, und in vorgerückter Stunde gab Matthias der Gesellschaft sogar ein Ständchen auf der Posaune: Der Mond ist aufgegangen, und«Dreams», diesen Schlager, der auf der Posaune wirklich fabelhaft klingt. Ob sie denn gar keinen Freund hat, wurde Carla gefragt, ja, sie hat einen, aber der ist in Oldenburg Eleve auf dem Gestüt, kommt nur ab und zu her, manchmal fährt sie auch hin.
Dann sorgte das Kofferradio für Gemütlichkeit. Die Sendung«Zeit zum Tanzen und Träumen»war geeignet zur Untermalung der Zusammenkunft. Es kam zu kleineren Übergriffen, und als sie sich trennten, kriegte Matthias zunächst von Waltraud einen Kuß - er packte sie bei ihrem Kraftgürtel-, von so’nem Sonntag könne man zwei machen, sagte sie, und dann, als die andern sich schon die Treppe hinuntertasteten, auch von Carla, und zwar einen zögernden, an den er sich sein Lebtag erinnern würde. Als er sich schon abwenden wollte, sah er sich lianenhaft umgriffen, und das war es, was er eigentlich hatte vermeiden wollen.
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D er Lehrerverein. Matthias hatte außer Hitlerjugend noch niemals einem Verein
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