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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht schubsen und keine Faxereien. Dann veranstaltete Frohriep eine Indianerpirsch durch den Großstadtdschungel, wenn auch ohne Federschmuck. Er ging vorneweg, und Matthias mußte hinten aufpassen, daß keiner zurückbleibt und abhanden kommt. Er beorderte Elfriede neben sich, die ausweislich so tüchtige Pfeiferin. Die konnte korrigierend eingreifen, wenn eins sich zu weit entfernte.
    Schon mal versuchsweise einen Pfiff loslassen… Frohriep vorne drehte sich um, was das nun wieder soll? Begütigend wurde ihm zugewinkt: Es hat alles seine Ordnung.

    Frohriep machte die Kinder aufmerksam, was Hamburg für eine schöne Stadt ist: Straßenbahnen! Ob sie schon mal eine Straßenbahn gesehen hätten? Ob sie das Stromabnehmerrädchen erkennen können? Wie sie das wohl machen, daß das nicht abgeht, wenn die Bahn über eine Weiche fährt? Da! Funken!
    Nein, eine Straßenbahn hatten sie noch nie gesehen, sie waren überhaupt noch in keiner großen Stadt gewesen, Bremen kannten sie nur vom Hörensagen, von Hamburg ganz zu schweigen.

    Laut sprach Frohriep, so laut, daß die Passanten es merken mußten: Hier geht ein verantwortungsvoller Lehrer, der überdies ein Kinderfreund ist, mit seinen Schülern spazieren, und er versäumt es nicht, Erklärungen von sich zu geben, von denen auch sie noch was lernen können.
    Hamburg – eine schöne Stadt? Gott ja, so genau hatten sie noch gar nicht hingesehen. Eigentlich hatte der Mann ja recht. Wenn man auch schwer arbeiten mußte, den ganzen Tag, um alles in Ordnung zu halten.

    Station Nummer eins: Der Paternoster im Chilehaus. Die beiden Lehrer packten die Kinder und schoben die Widerstrebenden in die zuckelnden Kabinen hinein, überließen sie ihrem Schicksal und rissen sie auf der anderen Seite wieder heraus. Sie sollten mal aufpassen, oben auf dem Dachboden! Ob die Kabinen da umkippen oder wie das funktioniert. Seriöse Geschäftsleute bahnten sich ohne eine Miene zu verziehen einen Weg durch das Gewese. Sie hatten schließlich was anderes zu tun, 25 000 Tonnen Kali nach Schweden schaffen oder Lampen ordern in Polen. Da waren Gewinnspannen von 50% drin, aber man mußte sich eben beeilen, und deshalb mußten sie sich Platz schaffen, zum Donnerwetter noch mal. Elastisch sprangen sie in den Lift und elastisch wieder heraus. Daß auf dem Dachboden nichts passiert, hatten sie selbst auch schon mal erkundet.

    Als alle das Abenteuer bestanden hatten, mußte durchgezählt werden, und dann wurde Station Nummer zwei angegangen, das war die Rolltreppe bei Karstadt. Frohriep schob unten die Kinder auf die hinaufgleitenden Stufen, und Matthias beförderte sie oben mit Schwung auf die hinabgleitenden, das ging ganz flott. Es gefiel Frohriep, wie tatkräftig Matthias zu Werke ging. Das hatte er gleich gedacht, daß der Kollege aus Klein-Wense durch und durch patent ist.
    Nachdem sie auf den Geschmack gekommen waren, wollten die Kinder nicht mehr davon lassen. Immer und immer wieder glitt die Dorfjugend von einer Abteilung zur andern, hinauf und hinunter, schließlich mit hallo! Zwischendurch in die Spiegel Fratzen schneiden – davon ließ sich sogar mancher Erwachsene anregen. Schließlich war man ja auch mal Kind gewesen.

    Nun Detektiv spielen.«Also du, du, du und du, ihr vier forscht aus, wo es Armbanduhren zu kaufen gibt, ihr schreibt das Stockwerk auf einen Zettel, und kommt sofort wieder zurück!… Und ihr vier kundschaftet Fußbälle aus, wo es die zu kaufen gibt. Und immer gleich wieder zurückkommen und Bericht erstatten!»Wenn sie sich irgendwas ausdenken, fünften Stock sagen, und das ist dann im dritten, das merkt er schon, sagte Frohriep, so doof ist der Lehrer nicht!

    Die Sache war unterhaltsam und für die beiden Pädagogen nicht weiter anstrengend: Die Kundschafter erwarten, ihnen den Zettel abnehmen, sie belobigen und die nächsten in Marsch setzen. Alles wunderbar, doch am Ende fehlten vier Mann. Da war guter Rat teuer. Um Gottes willen! Die Aufsichtspflicht! Also durchs ganze Kaufhaus rasen, der eine von unten nach oben und der andere von oben nach unten, durch alle Abteilungen, überall nachfragen: Haben Sie hier nicht Kinder gesehen?
    Die anderen unterdessen im Windfang belassen und schärfstens vermahnen, daß sie sich nicht von der Stelle rühren, die Dame mit den Lippenstiften ist so freundlich und hält ein Auge auf sie.
    In der Spielzeugabteilung befanden sich die Abhandengekommenen nicht, bei den Haushaltsgeräten auch nicht. Am Ende tat Matthias sie im

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