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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte er sich die«Spiegel»-Ausgaben der letzten drei Monate aufgespart und ein Tagebuch vorbereitet, für all seine Erlebnisse, vielleicht widerfährt einem ja ein Abenteuer nach dem andern? Auf dem Transatlantikflug«Spiegel»lesen und Tagebuch schreiben, dann würde ihm die Zeit nicht lang werden.«Und was machst du auf der Rückreise?»

    Kollege Rheinfahrt plante insgeheim, dem Amerikabesuch, wenn er denn erfolgreich verliefe, eine Reise in die Sowjetunion folgen zu lassen, den Horizont zu erweitern, einen Neckermann-Katalog würde er mitnehmen, damit die Kommunisten mal sehen, wie gut es uns hier geht. Krieg verloren und unglaublich billige Hosen kaufen können! Für neunzig Mark einen vollständigen Anzug, mit Weste!

    Erst Amerika, dann Sowjetunion, und überall Dias machen, wann käme man da mal wieder hin! Und die Dias dann im Unterricht auswerten, das würde die Kinder bestimmt interessieren.

    Ein anderer Kollege hatte sich auf die heimische Natur verlegt. Der kannte alle Pflanzen der Kreuzthaler Börde, die deutschen und die lateinischen Bezeichnungen. Der verreiste grundsätzlich nicht, der besaß Gummistiefel und stieg im Moor herum. Er wahrte Abstand zu seinem Kollegen Schulte aus Bötersen, der es mit der Jägerei hatte. Das war ein grober Patron – nicht jedermanns Sache.«Na, du Schweinehund?»sagte der zu jedem, aber das nahm ihm keiner übel, das war nicht bös’ gemeint. Seit er einmal sein Taschentuch auf eine Hornisse geworfen hatte und das Insekt aus dem Fenster geschüttelt, wußte man: Bei diesem Grobian handelt es sich um einen weichen Kern, der in einer rauhen Schale steckt. Seine Frau hatte es allerdings nicht einfach mit ihm.

    Als Neuling wurde Matthias intensiv beraten: Was man alles umsonst kriegt, wurde ihm aufgezählt, an Pelikan schreiben, daß man neue Schulfüller einführen will, dann kriegt man einen umsonst, und sich jede Menge Schulbücher als«Prüfungsstücke»kommen lassen: Fibeln, Schülerlexika, Bildbände.
    «Hast du schon einen Atlas?»

    Auch für die Beweibung wurden ihm Ratschläge zuteil: Bloß keine Bauerntochter nehmen, dann muß man dauernd im Garten arbeiten, und keine Pastorentochter, die sind anspruchsvoll.
    Im Nachbarort der Kollege Widmack, ein Laktovegetarier und Antialkoholiker, der«von Weinsuppe besoffen wird», wie gesagt wurde, hatte eine Bauerstochter geheiratet, die, seit sie Lehrerfrau war, keinen Handschlag mehr tat in Garten und Küche. Sie verzog nie das Gesicht, um keine Falten zu kriegen. Sah aus wie eine Tote.«Die ist total neben der Kappe», wurde gesagt. Im Wohnzimmer hatte er seinen angekohlten Wehrpaß unter Glas hängen. Im Grunde ein anständiger Kerl, im Sportverein eine große Nummer, aber eben dauernd Garten umgraben, während sich seine Frau darauf konzentrierte, keine Miene zu verziehen.

    Das Lagerfeuer wurde angefacht, in einem Drahtkorb flackerte es vor sich hin, jeder holte sich einen Stuhl, ob Liegestuhl, Schreibtischsessel oder aus dem Eßzimmer, ganz egal, und streckte die Beine aus. Bald schlugen die Flammen in die Höhe, und mancher Bauer in der Gegend mochte denken: Es brennt.

    Zur Entlastung des Gastgebers hatte jeder Kollege etwas mitgebracht, Thunfisch in Dosen, Jagdwurst und vor allem Schüsseln voll Kartoffelsalat mit Ei drin und Heringssalat, auch mit Ei drin. Man walkte ums Haus herum und durch die Wohnung, um mal nach dem Rechten zu sehen beim Kollegen Färsel: Ein Kreidestrich in der Garagenzufahrt war sehenswert, den zeigte man im geheimen, Färsel hatte ihn angebracht, damit er weiß, wann er den Motor ausstellen kann beim Nachhausekommen, Benzin sparen, obwohl der Liter nur achtundzwanzig Pfennig kostet. Wenn man jeden Tag den Wagen ausrollen läßt, kann man in Norwegen zig Kilometer umsonst fahren.
    Sein Vorgänger war auch sehr sparsam gewesen, der hatte sogar den Komposthaufen mitgenommen, als er ins Land Hadeln versetzt wurde. Ein alter Kommiskopp: achtes Schuljahr = acht Schläge, siebtes Schuljahr = sieben Schläge, und die Sitzenbleiber dasselbe im Quadrat?

    Überhaupt die alten Lehrer, das war ein ergiebiges Gesprächsthema, und der Schulrat.«Egon.»Es kursierte ein Rundbuch, darin hatten die Lehrer nach ihrer zweiten Prüfung eingetragen, was ihnen alles passiert war, bevor sie«lebenslänglich»kriegten. Unbedingt lesenswert, sobald man sich selbst zur Prüfung meldete; gruselig zu lesen. Für Ferien-Lagerfeuer-Abende nicht die rechte Lektüre.
    Lustiges stand nicht in dem Buch, so fehlte

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