Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
bekam nun mehr Geld. Obwohl er nur Beamter auf Probe war, verdoppelten sich seine Bezüge, dank eines einsichtigen Gesetzgebers: Wie kann man auf mehr Lehrer hoffen, wenn man sie so schlecht bezahlt? – Zwei Bewerber auf fünfzehn offene Stellen? Die bessere Besoldung würde erst mal keine Besserung bringen, es würde Jahre dauern, bis es sich herumgesprochen hat, daß diese Leute da, die in Dörfern sitzen und mit Schwamm und Kreide Bildung vermitteln, womöglich noch ein Schwein im Stall und, beim Deibel auf der Rinn, jetzt ordentliches Geld bekommen. Dazu«Beihülfen»im Krankheitsfall und ja auch Pension, die sich dementsprechend bemessen würde!
    Medizin studieren war die Devise, oder Jura, im ersten Fall den weißen, im zweiten Fall den schwarzen Kittel anziehen und klotzig verdienen. Der Schulrat rang weiterhin die Hände, sein neuester Trick war, Hausfrauen zu mobilisieren, die vor dem Krieg mal ein Seminar besucht hatten: diese Leutchen schnell irgendwie kursusmäßig überschulen hinsichtlich der neuen Zeit, in der man sich befindet, und einfädeln in den Schuldienst, damit sich die Bildungskatastrophe nicht auch im Schulaufsichtskreis Kreuzthal ereignet. Alles schon schlimm genug!

    Matthias kaufte sich eine neue Jacke, und in Bremen, im Rudolf-Alexander-Schröder-Antiquariat, Bücher: vorwiegend Reise-und Expeditionsschilderungen aus dem vorigen Jahrhundert,«Mit Blitzlicht und Büchse»und Stanley:«Im dunklen Afrika»,«In Nacht und Eis»von Fridtjof Nansen und«Unter Menschenfressern in Australien». Mit dieser Art Lektüre verbrachte er seine freie Zeit.

    Mit Kegelkugeln war er jetzt ausreichend versorgt, Überschuß war entstanden, weil ihm auch aus ferner gelegenen Dörfern die Dinger ins Haus getragen wurden. Jetzt fuhr er öfter mal zum Trödler nach Haßberg, bei dem Ellinor ihre Handtasche verscheuert hatte: zum Zeitvertreib und sowieso. Der Mann saß vor seiner Scheune, die Melone auf dem Kopf. Mürrisch begrüßte er seine Kunden, so auch Matthias aus Klein-Wense: Es war sein Schicksal, von aller Welt beschissen zu werden, und deshalb war er allen Menschen gegenüber, auch denen, die sich katzbuckelnd ihm näherten, mürrisch eingestellt. Keine Ahnung hatte er von dem, was er da in seiner Scheune liegen hatte: wilhelminische Büfetts bezeichnete er als Barock mit Übergang zur Gotik, und der Ankauf einer Arztpraxis hatte sich als absoluter Fehlschlag erwiesen: Wer wollte denn Stechbecken und Untersuchungsliegen kaufen, mit Wachstuch bezogene? Sogenannte Kackstühle sind unverkäuflich, wenn sie nicht nagelneu sind. Und der Schrank mit den Patientenakten stand nun schon seit Jahren in der Diele, obwohl sich hin und wieder Interessenten fanden, die gern nachlesen wollten, was die Nachbarin für Geschwulste im Unterleib gehabt hatte. Aus der vollständig erhaltenen Patientenkartei war’s zu entnehmen.

    Unfreundlich war der Mann, sagte kaum guten Tag, aber Matthias machte sich nichts daraus. Der stellte sein Rad mit dem Anhänger an einen Baum, er hatte hier noch immer was gefunden, das zu schade gewesen war stehenzulassen. Manchmal kamen Damen gefahren, aus Bremen, im Mercedes oder in der Isabella – das waren reiche Damen, die hier schnökern kamen, zu zweit oder gar zu dritt. Auch sie hatten keine Ahnung, aber da es ihnen schon gelungen war, Brauchbares für einen Pappenstiel zu ergattern, stellten sie sich immer öfter ein.

    Matthias ging gern ruhig und bedächtig vor. Nichts überstürzen! Nicht gierig erscheinen! Und keine zusätzliche Unordnung anrichten: Das bringt den Mann nur unnötig auf…
    Er schlenderte erst einmal um die Scheune herum, da lag meist altes Eisen in den Brennesseln, also Bauernzeug, Eggen und Pflüge und dergleichen, sogenannte Heuwender, und Küchenherde mit nur drei Beinen. Auch mal ein alter Trecker, auf dem die Kinder der Nachbarschaft herumturnten.

    Erst wenn er das Umfeld inspiziert hatte und ganz sicher war, daß hier nichts Geschnitztes verrottete, machte er einen Rundgang durch die Scheune: Erst mal flüchtig gucken, erst mal die Sachen auf sich wirken lassen, man hatte es ja absolut nicht eilig… Die Stühle da hinten konnten außer acht gelassen werden, aber der Schrank? War der nicht originell? Ein gewaltiges Ding, gekrönt von einer stilisierten Früchteschale, verdammt in Richtung Empire? – Und der Spiegel da drüben, zwar duff und abgeplatzt, groß und ausladend, mit vergoldetem Rahmen, in dem Trompeten und Blumen zu erkennen waren – würde

Weitere Kostenlose Bücher