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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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man den überhaupt stellen beziehungsweise hängen können? Würde man ihn hängen wollen? – Einhundertundfünfzig Mark? Also geschenkt?
    Ein goldener Spiegel in einem Schulmeisterhaus, so was würde sich nicht verknusen lassen. Erst mal überlegen, erst mal alles andere ansehen und auch mal auf der Rückseite gucken? Vielleicht eine Schloßsache?, eine irgendwie höfische Angelegenheit?, die man den Leuten vielleicht zurückerstatten könnte? Wußten vielleicht gar nicht, daß ihr alter Spiegel hier gelandet war?

    Auf der Diele standen auch sogenannte Koffer, aufeinandergestapelt, also Truhen, wie sie auf jedem Hof zu finden waren. In Hinsicht auf Truhen hatte Matthias sich mittlerweile Zurückhaltung auferlegt. Er besaß jetzt fünf von den Dingern; abgesehen von Jf. Lucies Wäschetruhe aus dem Jahr 1789 war ihm keine ans Herz gewachsen, schließlich war das seine erste größere Erwerbung gewesen. Im Stall standen die anderen, und sie nahmen ihm Platz weg.

    Matthias war eher auf Kleinzeug aus. Tabakkästen zum Beispiel hatten es ihm angetan; obwohl er selbst gar nicht rauchte. Er mochte sie gern ansehen und in der Hand halten, von«Kontor»hatten die was an sich. Ein schönes Stück, innen mit Stanniol ausgeschlagen, mit einer eingelegten Windrose obendrauf, bekam er für fünf Mark. Der Knauf war aus Bein, und der winzige Schlüssel allein war ja schon sehenswert. Dieser Kasten würde niemanden vom Hocker reißen, aber:«Was ist das für ein niedlicher Schlüssel?», damit konnte man rechnen.
    Weil diese Tabakkästen sich gut ausnahmen in der Schulmeisterwohnung, wurde auch weiterhin nach solchen Kästen Ausschau gehalten, und mit der Zeit fanden sich die sonderbarsten Exemplare ein, Wurzelholz, Buchsbaum und Esche… Beim Vater auf dem Rauchtisch hatte auch ein solcher Kasten gestanden, in der Nachkriegszeit hatte seine Mutter ihn irgendwie weggeworfen, aus einer Laune heraus, oder verschenkt. Jedenfalls war er eines Tages nicht mehr dagewesen, und das hatte geschmerzt.
    Jetzt hatte zwar nicht der gleiche wiederbesorgt werden können, aber ein ähnlicher, und mit der Zeit wurde der andere, aus dem der Vater sich die Pfeife gestopft hatte, darüber vergessen.

    Eines Tages hatte Matthias besonderes Glück. Das Gymnasium in Stadtlittum hatte sich seiner Lehrmittel entledigt, ein neues Gebäude war gebaut worden, neues Mobiliar hatte hergemußt – des Urväterhausrates hatte man sich entledigt, der Schamott war weggeschmissen worden, und die physikalische Abteilung war beim Trödler in Haßberg gelandet. Es handelte sich um die verschiedensten Instrumente aus Messing, blank geputzt, schwer in der Hand liegend – keine Ahnung, wozu sie dienten, Sextanten waren das vielleicht oder optisches Gerät zum Bestimmen des Sirius, massiv Messing, sorgsam gefertigt, und überall was zum Schrauben, Stellen und Durchgucken dran.
    Also, Matthias hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte, aber hier liegenlassen konnte er die Sachen auch nicht. Er legte die Instrumente auf einen Tisch in der Nähe des Ausgangs, scharf aufpassend, ob nicht jemand käme und ihm das wegnimmt, und durchwühlte alle toten Winkel und düsteren Ecken der Scheune, um mehr und mehr zu entdecken von diesen Köstlichkeiten unter dem allgemeinen Schurmurr – es war erstaunlich, was da alles zusammenkam, und der Trödler, der das Zeug wohl schon längere Zeit bei sich herumliegen hatte, verkaufte es ihm für fünfundsiebzig Mark. Ließ sogar noch fünf Mark ab, als Matthias die Brieftasche zückte.
    Matthias konnte es nicht glauben! Dieses wunderbare Barometer, eine lange Quecksilbersäule, auf Nußbaum geheftet, mit den verschiedenartigsten, zum Teil englischen! Beschriftungen links und rechts, kursiv und steil, je nachdem, und das Teleskop zum Ausziehen, vorn und hinten mit einer Glaslinse versehen, die allerdings nötig mal geputzt werden mußte, die herrlichsten Zirkel mit Meßscheiben dran, zum Ritzen und zum Zeichnen, je nachdem? Alles in Originalkästen aus poliertem Holz, mit Stützen versehen, damit die Gerätschaften Halt fänden…

    Matthias kaufte noch Wolldecken dazu, aus den Restbeständen eines pleite gegangenen Geschäfts, und er bettete die Sachen behutsam in seinen Anhänger. Er würde das Rad, wenn’s not täte, schieben! Kilometer um Kilometer, nur diese Sachen heil nach Hause kriegen!

    Zu guter Letzt, als schon alles verstaut war und alles bar bezahlt, ohne Wenn und Aber, langte sich der Trödler eines der Geräte und

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