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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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guckte durch und drehte daran herum. – Um Gottes willen, vorsichtig! – Eigentlich fast zu schade zum Weggeben, mochte der Mann jetzt denken.
    Und dann kam, wie’s so geht, ein Herr gefahren mit seiner Frau, die ihm von einem«Paravang»was vorgeschwärmt hatte, mit Reihern bemalt -«Hoffentlich ist er noch da!»- Und dieser Herr blieb vor dem Trödler stehen, der immer noch an dem Instrument herumspielte und drehte und tat und machte, der sah sich das Ding auch an und sagte zum Trödler lauter als nötig:«Dafür gebe ich Ihnen zweihundert Mark! »
    Ein längerer Aufenthalt stand an, alles wurde wieder ausgepackt, schon aus Triumphgründen, und jedesmal war zu hören, daß das Zeug nahezu«unbezahlbar»sei. Und der Trödler kriegte einen roten Kopf!

    Das gab böses Blut. Matthias konnte daraufhin eine Zeitlang nicht mehr nach Haßberg fahren. Obwohl alles mit rechten Dingen zugegangen war: Diese Freundschaft hatte einen Riß bekommen.

30

    A m letzten Schultag trafen sich, wie jedes Jahr, alle Junglehrer am Lagerfeuer.«Ferienreif»war man, wie immer wieder gesagt wurde. Es gab verschiedene Gemeinschaftsunternehmungen im Schulaufsichtskreis Kreuzthal, von den Lehrervereinstagungen mal ganz abgesehen, einmal im Jahr gab es zum Beispiel ein Lehrerfest, das war hart an der Grenze zum Schwof, und dann die jährliche Fußwanderung unter der Leitung des Kreismuseumswarts Müllermann-Ohfe, von Westereistedt nach Mahlstedt, urgeschichtliche Steingräber ansehen, und von dort mit einem Motorboot retour. Oder durch den Sassenholzer Wald unter der sachkundigen Führung des Diplom-Ornithologen Kossewitz, morgens um fünf Uhr Antreten, langes Marschieren durch Feld, Wald und Moor, wahnsinnig anstrengend.
    Alles wunderbar, aber am schönsten war das Sommerfest der Junglehrer einen Tag vor Beginn der großen Ferien, wenn hierzu auch nicht alles geladen war, was geladen sein wollte. Junge Leute waren gefragt, und auch von denen nur, was«paßte». Kollege Stichnoth«paßte»nicht, der hatte was Queres an sich.

    Kollege Färsel war in diesem Jahr Gastgeber des Ferienfestes, ein schwarzhaariger Hüne mit Silberblick, von dem nach Statur und Person anzunehmen war, daß er eines Tages Schulrat werden würde. Sein hellblauer Mercedes stand bereits fertig bepackt in der Garage. Morgen, in aller Frühe, würde es abgehen, nach Norden. Horridoh! Seine Kinder waren noch nicht im Bett, die liefen im Pyjama herum, von den eintreffenden Lehrern wurden sie in die Höhe gehoben und wieder hingestellt. Möglichst lange aufbleiben, lautete die Parole, dann sind sie morgen auf der Reise schön müde. Färsel wollte in diesem Jahr nach Norwegen, sonst immer Dänemark – er wurde schon als Feriendäne bezeichnet. Er hatte von Dänemark die Nase voll,«Adgang forbud«…, der wollte jetzt Norwegen abgrasen, in eiskalten Wasserfällen baden und auf den Fjordbergen herumkraxeln. Und seine Frau wollte das auch. Letztes Jahr hatten ihr die freundlichen Dänen die Wäsche von der Leine gerissen und mit Teer Hakenkreuze draufgeschmiert.
    Also: Auf nach Norwegen in das Land, das sich 1940 nicht kampflos hatte besetzen lassen, sondern tapfer gewehrt.
    Danach vielleicht Schweden? Nein, Schweden nicht, da war ja Linksverkehr.

    Ein anderer Kollege fuhr nach Holland, obwohl es dort unappetitliche Fleischerläden gibt. Österreich und Jugoslawien waren im Gespräch. Aber auch Harz und Schwarzwald. Bleibe im Lande und nähre dich redlich.

    Kollege Rheinfahrt, weißblond und rosig, hatte in diesem Jahr etwas Besonderes vor. Er war letztes Jahr in Griechenland gewesen. Die Akropolis habe ihn enttäuscht, sagte er, außerdem hatte er die Sprache nicht verstehen können und die Schrift nicht lesen. Dieses Jahr wollte er mit seiner Frau nach New York fliegen! Zu Onkel und Tante, die er seit 1938 nicht mehr gesehen hatte. Kein Lehrer im ganzen Schulaufsichtskreis war je in New York gewesen, auch der Schulrat nicht, niemand war über den großen Teich gereist, abgesehen von einem ehemaligen Afrikakämpfer in Molkendorf, der 1944 zwangsweise hinübergeschafft worden war, und so war Rheinfahrt denn nun der Mittelpunkt des Abends. Man riet ihm, überm Atlantik nicht etwa auszusteigen, zum Blumenpflücken oder wie oder was, sonst fräßen ihn womöglich noch die Haifische! – Er zeigte seinen Paß herum, mit dreifarbigem US-Visum-Stempel. Ob er vorbestraft sei, hatte man ihn auf dem Konsulat gefragt, und ob er Kommunist ist. Um unterwegs etwas zu lesen zu haben,

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