Heile Welt
Künstler, aber manchmal jähzornig. Mit einer Gerte auf die nackten Kinder eingeschlagen, weil sie Krach machten, mittags, während seiner heiligen Siesta, und zu seiner Tochter auch nicht immer nett gewesen, und die Frau ins Grab getrieben durch ewiges Genörgel.
«Aber die Bilder – alles, was recht ist… »
Die Fresken allerdings, derentwegen sie nach Kreuzthal gekommen waren, lagen unter weißer Tünche.
Matthias fühlte sich erwärmt davon, daß er hier zu etwas nütze gewesen war. Er fuhr also beschwingt nach Hause und legte sich in die Badewanne, in die er kaltes Wasser eingelassen hatte, und er blieb liegen, bis alles zur Ruhe gekommen war in seinem Gehirn.
Am Abend saß er dann wieder in seiner Dachkammer. Er nahm ein Blatt Papier und versuchte,«Schriftsteller zu werden». Die Sachen mit den kleinen Wellen im Hafenbecken, die an die bemooste Kaimauer schlagen. Er schrieb das auf, und dann ließ er es bleiben und kniffte statt dessen das Papier und ließ eine Kugel hinunterrollen. Ein zweites Blatt wurde geknifft, und nun rollte die Kugel sogar in die Kurve. Mit UHU klebte er das zusammen.
Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und konstruierte Kurven für die Kugeln, und ab und zu nahm er die Stoppuhr und prüfte, wie lange die Kugeln liefen, die er oben auf die oberste Schiene legte.
Er baute eine reguläre Kugelbahn, möglichst flach legte er sie an, damit die Kugeln nicht so schnell herunterlaufen.«Ist das was Symbolisches?»dachte er. Ihn ärgerte es, daß die Kugeln immerfort hinunterrollten und nie den Weg zurück nahmen. Er stellte die Blechlandschaft, die er bei Klapproth gekauft hatte, daneben. Der Blechzug kroch in der Tat den Berg hinauf, aber nur solange das Uhrwerk es gestattete.
34
I m August, als bereits Mähdrescher über die Felder krochen und kleine Mädchen Gänse über die Stoppelfelder trieben, kriegte Matthias Besuch. Alfons Säckel stand plötzlich in der Klasse, sein Damenfahrrad hatte er an den Birnbaum gelehnt, auf dem Gepäckträger klemmte eine Papprolle. Ach, ist er kaputt, sagte er, von Kreuzthal mit dem Fahrrad hierherzustrampeln! Er muß sich erst mal waschen. Er schloß das Fahrrad ab, was ganz ungewöhnlich war, denn niemand in Klein-Wense schloß je sein Fahrrad ab, und ging hinein.
Matthias ließ die Kinder gerade Insekten sammeln – lernet die Weisheit -, jedes lief mit einem Weckglas über die Schulwiese, und wenn es einen Käfer oder eine Fliege gefangen hatte, kam es zurück und verglich das Tierchen mit denen, die bereits auf der Fensterbank in zugestopften Reagenzgläsern standen. War es schon vorhanden, wurde es freigelassen, dann mußte weitergesucht werden.
«Nur sechsbeinige, Kinder, nur sechsbeinige!»
Matthias hatte gesagt:«Wetten, daß wir in einer Stunde über zwanzig verschiedene Insekten finden? »
Das war bezweifelt worden, und nun standen schon dreißig Gläser auf den Fensterbänken und immer noch kamen die Kinder gelaufen.
Säckel kam erfrischt und mit zum Sturm gekämmten Haaren aus dem Badezimmer, und dann beteiligte er sich an der Suche, und da er ein lustiger Kerl war, gab es sofort was zu lachen. Daß er auf den Händen über den Schulhof lief, mußte allerdings sofort abgestellt werden, das hatte mit Insekten nichts zu tun.
Der Lehrer mache sich nicht zum Kasper.
Er war kleinwüchsig und hatte ein lustiges Gesicht, und daß er beim Insektensammeln half, gefiel den Kindern.
Als genügend Tierchen beisammen waren, stellte es sich heraus, daß niemand wußte, wie die Dinger eigentlich heißen. Ein Buch war nicht vorhanden. Also bekam jeder eines zugeteilt, mußte es abzeichnen und benennen:«Grünflügler»wurde unter die Zeichnung geschrieben und«Langbeiner»,«Goldfliege»und«Panzerkäfer». Also: die Phantasie wurde angeregt.
Das hätte auch dem Schulrat gefallen, dachte Matthias, und er ärgerte sich ein wenig, daß er hier seine Munition verschoß.
Säckel bewunderte das Phantasieanregende dieser Arbeit. Wunderbar! Das hatte er gar nicht gedacht, daß ein Unterricht auf dem Lande so ulkig ist! Keines dieser trockenen«Bestimmungen»von der Sorte, mit denen er in der Schule geelendet worden war!«Was blüht denn da?»oder«Was fliegt denn da?»Großartig! Die Natur praktisch neu benennen und sich zu eigen machen… Ob das überhaupt gestattet ist, fragte er: Die Vorschriften für den Unterricht seien doch bestimmt sehr starr?
Er ging an die Tafel und malte Menschenkäfer, also Insekten mit Menschenköpfen
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