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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Polen aufgehängt hatte. Und zum Hünengrab wurde gefahren, von den Nazis zur Thingstätte umgestaltet, zehntausend Jahre alt und steht hier einfach im Wald herum?
    Zum Hünengrab falle ihm nichts ein, sagte Säckel, wieviel er auch vorher geredet hatte. Technisch war es ihm klar, absolut, wie man so ein Hünengrab baut, im Grunde ganz einfach – also auf Baumstämmen herbeirollen die Brocken, aber warum? Wozu der Aufwand? – Wieso eigentlich nicht umgestalten das Dings, den Polen exhumieren und hier beisetzen?

    Dann badeten sie in dem See. Säckel zog sich nackend aus, Matthias behielt die Unterhose an. Mit schwengelndem Glied sich zu zeigen, das war nicht seine Sache. Wozu sollte das taugen?
    Bis zum Kopf standen sie im Wasser, und Säckel hielt eine Vorlesung über seine Auffassung von Kunst: den Holzstoß da drüben mit roter Farbe übergießen zum Beispiel. Mitten im Wald ein knallroter Holzstoß? Und das dann signieren und«Waldbrand»nennen. Oder«Natur römisch III». Und die von den Franzosen gebaute Arbeiterhütte mit Goldblech beschlagen. Oder Treckerspuren mit Gips ausgießen und an die Wand lehnen…
    Die Zwergenhäuser waren noch vorhanden, und das führte dann dazu, daß Matthias’ Gemüt zugesprochen wurde, so was gäb’s unter Lehrern wohl ganz selten. Wenn er an seine Lehrer denke!, und so weiter. Zu seiner Zeit sei noch kräftig geprügelt worden. Und da fand Matthias es nun doch schade, daß er Säckel nicht ins Wolkenzimmer gelassen hatte.

    Mit der Zeit wurde es offensichtlich, daß Säckel sich zwar freute, mit Matthias zusammenzusein, aber in Wirklichkeit wollte er bloß die Zeit herumbringen. Es stellte sich heraus, daß er zum Kaffee zu Ellinor eingeladen war, und es war deutlich, daß er Matthias nicht dabeihaben wollte. Die Papprolle enthielt Probedrucke, mit denen der Künstler zeigen konnte, daß er auch was kann, obwohl er natürlich einer ganz anderen Generation angehört als Kallroy, den man wohl als alten Sack bezeichnen mußte. Die Ungestümheiten seiner Generation waren bis nach Klein-Wense wohl noch nicht vorgedrungen. Sie trennten sich also, und Matthias fuhr traurig nach Hause.

    Es passierte ihm auf dem Rückweg, daß er zwischen zwei Häusern einen Mann ein Huhn schlachten sah, der hatte das jammernde Tier auf den Hauklotz gepreßt und holte gerade aus mit dem Beil – schnell weiter, nur weiter, nie wieder Huhn essen. Aber dann natürlich irgendwann doch.
    Was für eine Mühsal, sich einen Hühnerbraten zu verschaffen, dachte er, vom Schlachten mal ganz abgesehen: Das Rupfen erschien ihm aufwendig, dann das Ausnehmen, und dann das Zubereiten? Und dann ist es am Ende womöglich zäh? Was für eine Mühsal das Leben überhaupt!

    Da saß er nun in seinem Zimmer. Er warf sich aufs Bett und erwartete den Abend, weiter konnte er nichts tun. Er dachte an Säckel, der von«Ellinor»gesprochen hatte, für ihn war die Dame immer noch das Fräulein von Kallroy, und so würde es bleiben, auch wenn er schon mal über sie hinweg zur Fahrradklingel gegriffen hatte.
    Er fummelte ein wenig an der Kugelbahn herum, fabrizierte ein paar Kurven und Spiralen und eine Wippe. Unten stand Marianne vorm Fenster. Die wollte er jetzt nicht sehen. Aber es störte ihn, daß sie da unten stand und auf ihn wartete und hochguckte, und deshalb warf er sich aufs Bett und las in einem Kriminalroman. Aber auch hierbei gab es keinen Trost, das Mädchen da unten lenkte ihn ab. Er konnte sie doch nicht einfach so stehenlassen. Also hinunterspringen, aber – sie war inzwischen fortgegangen.

    Als es dämmerte, raffte er sich auf und ging noch einmal los, die Eische entlang, und dort setzte er sich unter einen Busch und sah hinüber zum Kallroy-Haus. Band sich sein Taschentuch um den Hals wegen der Mücken: Im Erker war Licht, wurden dort Patiencen gelegt? Plus Pingelmusik von Jacques Loussier? – Oder wurde über ihn gesprochen? Was er für ein Blindgänger ist? – Badet in’ner Unterhose? Und spielt ja wohl Posaune? Vermutlich beugte man sich auch über die Probedrucke, Kunstbetrachtung regt ja an.
    Im ersten Stock über dem Erkerzimmer brannte kein Licht, da lehnte sich die Tante aus dem offenen Fenster, mit offenem Mund, und lauschte, was da unten vor sich geht.
    Nun ging das Licht aus, und eine Kerze wurde angezündet: Man wollte es offensichtlich gemütlich haben. Die Terrassentür öffnete sich, und die Herrschaften setzten sich in den Sommerabend. Säckel hatte die Laute des Alten von der Wand

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