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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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daß sich groß etwas ereignete, ein stilles gemeinsames Atmen und Träumen oder auch mal Einnicken … und dann desto lebhafter sich wieder aufraffend, und dann:«Oh-oh-ah-ah! Ach…!», wie immer kurz vorm Abschrammen.
    Mit Anita würde so etwas anders verlaufen, sie würde ihn in ihre Körpermasse einschließen wie fleischfressendes Fleisch. Wie die Zinkwanne in den schorfigen Baum eingewachsen war, so würde man in dieses Menschenkind eingepackt werden, ausgesogen und die nackten Rippen ausgeschieden, klick-klack.

    Als Matthias beim Rasieren in den Spiegel guckte, pfiff er vor sich hin, und er war von Herzen froh, daß Carla nicht an ihm klebte, sondern anderweitig versorgt war.
    Und keinerlei Anwandlungen! Bei Carla war Nüchternheit Trumpf; Lilli – wie war es oft störend gewesen, daß sie ständig hatte wissen wollen:«Liebst du mich? – Sag, daß du mich liebst…»Nach dem Essen zum Beispiel, im Garten, wenn man grade an nichts Besonderes denkt…

    Matthias deckte in der Veranda den Tisch und machte sich sein Frühstück. Auf dem Fußboden die Ameisenstraßen und an der Wand noch immer der«Bücherschatz des Lehrers», um zwei Bände ergänzt. Hier war für billiges Geld irgendwann Vollständigkeit zu erzielen.
    Anita war endlich fortgegangen, der Blumenstrauß konnte also hereingeholt werden, die Tür kurz öffnen, Blumen reinholen und sofort wieder abschließen. Und dann setzte er sich ans Fenster und klopfte das Ei auf, Milchkaffee, Orangenmarmelade.
    Er sah hinaus in den Garten, über die Beete, ordentlich in Reih und Glied, zur Laube hinüber, die gelegentlich mal wieder geschrubbt werden müßte, die welken Blätter darin und ewig Hühnerdreck auf dem Tisch. Dann ließ er den Blick gleiten über das ostfriesische Tellerbord, wohlgefällig, diese spottbillige Neuerwerbung, vollgestellt mit blauen Tellern, und dazwischen Zinnlöffel, einer neben dem andern, und auf der Truhe verschiedene naiv bemalte Hut-oder Haubenschachteln, auch eine neben der anderen. Dann sah er hinüber in seinen«Salon», zwei Stufen hoch, zu den blanken Möbeln, in eine ganz andere Welt. Die Wände immer noch kahl, aber in der Vitrine doch schon alte Weingläser, unterschiedlich geschliffen, und ein Ascher von der Sorte, wie sie zu Hause einen gehabt hatten. Der Sofaumbau war bestückt mit Ziertassen jeder Art, mit Landschaften drauf und ganzen Städten plus Windmühlen im Hintergrund.
    «Heute werde ich nicht in die Kirche gehen», dachte er. Das war ja das Gute, daß man als regelmäßiger Kirchgänger – besser ist besser – auch mal fehlen konnte, ohne daß das auffiel, die Kollegen ließen sich nur selten sehen, und der Bürgermeister fehlte auch häufiger. – Matthias trank den Kaffee aus und ordnete seine Reisebücher neu ein, Herzog Friedrich von Mecklenburg, eines neben das andere, mit stockfleckigen Karten, alle billig erworben.

    Von seinem Salon aus konnte er auf die Landstraße sehen: Einigermaßen interessant das Umtreiben der Kühe, wie sie sich hochgeschwindig über die Straße drängen. Läutende Euter. Bing-bang. Die Leitkuh an den Trecker gebunden, vorneweg, und hinten zwei kleine Jungen mit Gerten.

    Nach dem Frühstück nahm er seine Posaune, aber er legte sie wieder fort. Keine Lust. Posaune blasen – er kam nicht recht voran mit dieser Kunst, das war es, Noten hätte er sich besorgen müssen oder in den Posaunenchor eintreten? Da waren schon Vorstöße gemacht worden. Bloß nicht so oft aus dem Fenster blasen, sonst kommen sie und holen dich.

    Wie die Bauern an Feiertagen noch mal eben durch den Stall gehen, ob auch alles in Ordnung ist, so ging er in die Klasse hinüber, mit den Augen des Schulrats. Das Gerümpel auf dem Schrank wegnehmen und einen neuen Sommerkranz unter die Decke hängen… Er wischte die Tafel und schrieb einen Text für die Kleinen an. Verzierte ihn mit Blumen. Dann setzte er sich in eine Bank und guckte in die Gegend. Es war erst zehn Uhr? Dieser Tag würde sich in die Länge ziehen. Schade, daß Marianne nicht kam mit ihrer Katze, und vielleicht hätte er doch das Wort an Anita richten sollen? Daß Ellinor ihn fest am Handgelenk gepackt hatte, als er nach der Klingel griff, war bedenkenswert, aber es hatte wohl nichts zu bedeuten.
    Von der Klasse aus ging er hinüber in seinen Schuppen und betrachtete sein dort gelagertes«Altertum», also das, was sich da angesammelt hatte. Ein zylindrischer Eckschrank aus Mahagoni mit elfenbeinernen Knöpfen an Schubladen und Türen war

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