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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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traurige Geschöpf hinter der Theke angenehm aufgefallen war.
    In der«Linde»aß Matthias ein fettes Kotelett mit Pilzen und Sauerrahmsoße.
    Die alten Leute, die ihm an der Eische begegnet waren, saßen mit ihren Enkelkindern am Fenster und schauten hinaus. Die aßen auch Kotelett mit Pilzen und Sauerrahmsoße. Sie hatten die Kirche besichtigen wollen, aber die war bereits abgeschlossen gewesen. Zuerst Gottesdienst, da mag man nicht stören, dann verrammelt, da mag man dann auch nicht stören.

    Nun fuhr Matthias nach Kreuzthal. Die bekannte Strecke entlang, die schmale Brücke über die Eische, durchs Moor und an der Mühle vorüber. Am Moor stand ein Mann, der Wasserflöhe für sein Aquarium fischte. Dem konnte er einen Augenblick zusehen. Einen Kescher hatte er sich aus einem Damenstrumpf gemacht. Die Wasserflöhe stülpte er in ein Weckglas, da wirbelten und zuckten sie umeinander. Die Sonne schien schräg hinein in das Moor, über dem Mücken tanzten und Libellen standen. Ob er viele Fische in seinem Aquarium hat? fragte Matthias den Mann, und der sagte ja, er fährt immer zum Treffen der Aquarienfreunde in Bremen, da kann man tauschen und neue Züchtungen sehen.
    Ob er auch Goldfische besitzt? fragte Matthias, und er erfuhr, daß Goldfische in Aquarien gar nicht so leicht zu halten sind. Und während sie miteinander sprachen, sah er nicht, daß die gespenstische Frau in ihrem weißem Kleid über den Damm im Moor dahinging oder«schwebte», und der Mann mit dem Kescher guckte auch grade woanders hin.

    In Kreuzthal war alles zu. Matthias setzte sich ins Freibadcafe und bestellte sich drei Kugeln Eis mit Schokoladenraspel obendraufgestreut und Sahne. Vom Schwimmbecken her kam Chlorgeruch und Geschrei. Matthias beobachtete die schmal gebaute Jugend, die ins Wasser hechtete. Landbevölkerung war nicht darunter, das waren Schüler der Hermann-Sulzberg-Schule mit ihren Freundinnen, vielleicht auch ein paar junge Lehrer. Auf alle Fälle Jugend, zu der er nicht gehörte, obwohl er erst dreißig war.
    «Einen Motorroller müßte ich mir anschaffen», dachte er,«oder mindestens ein Moped, das würde einen ganz anderen Eindruck machen.»Mopeds – da gab es schon ganz komfortable Dinger, nicht mehr die kümmerlichen Lehrlingsapparate, die natürlich nicht in Frage kamen.
    Als er gerade gehen wollte, bugsierte ein Herr eine junge Dame durch die Tür. Es war Dr. Müllermann-Ohfe, der Museumsbeamte. Das war dem nicht recht, daß Matthias ihn hier sah. Einen weißen Hemdrollkragenpullover trug er und hellbraune Schuhe mit weißem Einsatz, und die Dame war ziemlich hübsch.«Schau an», dachte Matthias.

    Er fuhr zur Klosterkirche, grade frisch renoviert, innen absolut weiß und kahl. Alles, was irgendwie überflüssig war im Sinne moderner Theologie, das also, was harmlose Seelen hier aufgestellt hatten in vergangenen Jahrhunderten, aus Verschönerungsbedürfnis oder Aberglaube, wozu der Missionsmohr gehörte, der mit dem Kopf nickte, wenn man einen Groschen hineinsteckte, all das hatte man entfernt und – damit das nicht wiederauftaucht, irgendwann kaputtgeschlagen. Die alten Fenster, vom Grafen Handsfeld zur 500-Jahr-Feier gestiftet, herausgenommen und durch neue ersetzt, abstrakte, aus denen irgendwelche Heilsbotschaften schwer abzulesen waren.
    Einzig der uralte Taufstein war stehengeblieben, und der war mit einem Deckel versehen, in den ein kleines Becken eingearbeitet war: Dann brauchte es nicht so viel Wasser.
    Der Altarraum war auch absolut weiß gestrichen, dahinter mußten die Fresken von Kallroy stecken, ob das die Leute noch wußten?

    Als Matthias hinaufsah zur Orgel, die man mit einem modernen Prospekt versehen hatte, weil das alte von allerlei Engeln verziert war, betrat das alte Ehepaar das Gotteshaus, die Leute, die er an der Eische getroffen hatte, mit ihren Enkelkindern. Sie fragten Matthias, ob er Ernst Werner von Kallroy kenne?, den großen weltbekannten Maler? Und was aus ihm geworden sei? Der Herr sagte, er habe in den Zwanzigern mal Ferien gemacht in dem Haus, als Kind, von der Arbeiterjugend aus. Da habe es immer Dickmilch gegeben, abends, im heißen Sommer… und dann nackt in der Eische gebadet und auf dem Heuboden geschlafen… Hier konnte Matthias nun Auskunft geben und auch davon sprechen, daß der Herr von Kallroy im Moorlager zugrunde gegangen sei unter mißlichen Umständen…
    So… wurde gesagt, ach… schade… So ein ordentlicher Mann… Im KZ? – Ein ordentlicher Mann und tüchtiger

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