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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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und mit Rucksack auf dem Rücken und Schuhen an den Füßen. – Alles nicht so ganz in Matthias’ Sinn.«Der gräbt mir das Wasser ab», dachte er. Aber: warum eigentlich nicht, laß ihn nur machen, wenn die Kinder Spaß dran haben? Außerdem geht die Zeit rum.

    Als die beiden dann in der Stube saßen, waren sie ganz vertraut miteinander. Matthias stellte Milch auf den Tisch, Brot und Wurst - den städtischen Besucher ins Wirtshaus zu führen, dazu hatte er wenig Lust, da hätte er ihn am Ende einladen müssen?
    Säckel nahm den Brotlaib in die eine und die Wurst in die andere Hand und behauptete: So ein Brot und so eine Wurst gäbe es in der Stadt überhaupt nicht mehr, und diese Milch! Er bezeichnete Matthias als absoluten Schlaumeier, sich aufs Dorf zu verkriechen! Mit Kindern zu tun zu haben, das sei ja eine angenehme Art, sein Geld zu verdienen… Kinder sind immer lustig, und den ganzen Nachmittag hat man frei? Und jeden Ersten frisches Geld auf der Kasse? Und eines Tages noch Pension? Und die Ferien! – Bekomme ein Stadtlehrer eigentlich mehr Geld als ein Lehrer auf dem Dorf? Die Leute in der Stadt müßten doch ganz anders ran, dächt’ er?
    Da Matthias interessanten Besuch hatte, machte sich Anita im Garten zu schaffen. Wie denn die Maschine heißt, die da im Garten rumwühlt, wollte Säckel wissen, ganz flott, was? Die möchte er mal richtig durchziehen. Dieser Arsch? Also, das sei doch ein wahrhaftiger Prachtarsch!

    Ja, Matthias’ Dorfexistenz imponierte ihm.
    Da müsse er sich in Karlsruhe ganz anders quälen, heutzutage kaufe doch kein Mensch mehr Bilder! Und: auf einer Matratze schlafen, unterm Tisch… Wenn er seinen Job an der Volkshochschule nicht hätte, könnte er einpacken! Verkaufen tät er kaum etwas. Die verwöhnten Zahnarztgattinnen, die sich hin und wieder zu ihm verirrten, ließen sich alles zeigen, und dann heiße es: Ach nein, ich muß erst mal meinen Mann fragen… Die wollten im Grunde genommen nur gepimpert werden. Und er ließ ein paar Erlebnisse vom Stapel, über die Matthias sich nur wundern konnte.
    Säckel mochte überlegen, ob es sich nicht machen ließe, noch umzusatteln? Ebenfalls Dorfschullehrer werden? In der Heide? Aber dann zählte er sich seine Jahre her und dachte an die vielen schönen Kneipen in Karlsruhe, und wie herrlich man da im Sommer draußen sitzen kann, und ins Elsaß ist es auch nur ein Sprung, und all die Gattinnen, denen die Lebensfreude von den roten Wangen lacht.

    Er sah sich im«Salon»um, als ob er das alles begutachten müsse, für eine Auktion oder was… Die blanken Möbel von Tante Hulda bezeichnete er als Sperrmüll. – Kein Bild an der Wand? Das allerdings war lobenswert. Lieber keines als ein schlechtes… Wenn er wieder zu Hause wär’, würde er ein paar Lithos zusammensuchen und ihm schicken, Probedrucke, die im Grunde ja viel wertvoller sind als die fertigen, abgesegneten. Obwohl: so gänzlich ohne Bilder gefalle ihm das hier eigentlich auch ganz gut.
    Von Maler Kallroy hielt er nicht viel, sosehr er damals auch die Bilder gelobt hatte, damals, als sie bei Ellinor Tee tranken. In einem unbewachten Augenblick hatte er sich die rote Mappe angesehen, die auf dem Korridor stand, und er hatte darin Nazibilder gefunden, SA-Männer, die der Sonne entgegenmarschieren und dabei mit ihren Stiefeln Gesindel zertreten. Die SA-Männer hätten eine gewisse Ähnlichkeit gehabt mit den Feuerjünglingen am Kamin. Nur eben mit Mütze auf und mit Schulterriemen, und die Backenmuskeln gespannt.
    «Der Alte hat tatsächlich versucht, sich bei den Nazis anzubiedern! Nicht zu fassen! Zuerst bei den Kommunisten, dann bei den Nazis!»

    Matthias zögerte einen Augenblick, ob er seinen Gast ins Wolkenzimmer hinaufführen sollte. Er tat es nicht, er wollte sich nicht loben lassen, und beschimpfen schon gar nicht. Auch die Tür zum blauen Zimmer blieb verschlossen. Die Kugeln wären ihnen entgegengekullert, so viele hatte er dort bereits gehortet.
    Auf dem Korridor die Ehrentafel: Donnerwetter… Ob er das Ding nicht mal eben kurz übern Stuhl hauen könnte?
    «Was ist das denn hier für ein Gestank?»sagte er, und dann stiegen sie in den Keller hinab, unerträglich, und ein Gehusche in der Ecke, ein Loch: Ratten?

    Dann fuhren sie ein wenig in der Gegend umher. Die blanken Silos des Landhandels wurden gelobt, als Kontrast in der langweiligen Landschaft, als moderne Explosion in norddeutscher Trostlosigkeit… Im Glumm besichtigten sie den Baum, an dem man den

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