Heile Welt
die letzte Erwerbung, Biedermeier ganz offensichtlich, für ein Dorf ungewöhnlich, nicht mehr unterzubringen in der Wohnung. Zwei auseinandergenommene alte Bauernschränke in der Ecke und ein Katzenstein mit der Jahreszahl«1669». Eine Schatulle mit Aufsatz. Neun kleine Schubladen oben, drei große unten. Alles fein gearbeitet mit eingelegtem Muster.
Danach holte er sein Fahrrad hervor und fuhr erst mal los. Cordes’ Landhandel mit Gegensprechanlage an der Zauntür, und im Garten ein Swimmingpool, blau angestrichen, eine Hollywoodschaukel daneben, die jeden Abend hereingeholt werden mußte, zusammengeklappt und in die Garage gestellt, sonst geht sie kaputt. In den beiden Metallsilotürmen spiegelte sich der Besitz des Händlers, wenn auch konisch verzerrt. Die Heuwender standen immer noch auf dem Bahnhofsvorplatz von Kreuzthal, sechs Stück, ineinander verkeilt, schon lange nicht mehr nagelneu.
Matthias setzte sich an die Eische und sah den Enten zu beim Gründeln. Aber das hielt ihn nicht lange, es kamen Fremde vorüber, die nicht guten Tag! sagten, und denen mußte er Platz machen.«Müssen Sie sich denn ausgerechnet auf diesen schmalen Weg setzen? »sagte ein älterer Herr, dessen Frau trotz der Hitze einen Hut trug. Offensichtlich handelte es sich um irgendwelche Großeltern mit ihren zwei Enkelkindern. Sie mit Hut und er mit Knirps.«Ganz schön dumm, diese Leute», dachte Matthias.«Ich hätte ihnen sagen können, daß dort drüben das Kallroy-Haus liegt, das Atelier eines großer Künstlers.»Das würden sie nun nicht erfahren, sie würden daran vorbeibiestern und nichts mitnehmen für Bildung und Streben.
Zu Ellinor gehen, was die heute macht? Streitpatience spielen und eine Partie Federball? Vielleicht langweilte sie sich ja genauso wie er? – Lieber nicht, bloß nicht aufdringlich erscheinen.
«Ach, wissen Sie, ich habe den Sonntag gern für mich allein.»Die«Praline»liegt auf dem Tisch, die Fliegenklatsche daneben.
Matthias fuhr nach Sassenholz, einen weiten Bogen machte er um die Kirche, wo gerade geläutet wurde, der Gottesdienst war beendet.
«Na, wo waren Sie denn heute?»würde der Pastor fragen, wenn er ihm begegnete, also Kopf einziehen und schnell weiter. Womöglich in den Pfarrgarten gelotst werden und da mal wieder Lieder zur Laute singen? Käsekuchen? An die kleine Engländerin würde nicht heranzukommen sein, dafür sorgte der Alte.
Am Grundstück des Schriftstellers Sowtschick fuhr er vorüber, dem«Thomas Mann des Landkreises», wie er von den Lehrern genannt wurde. Matthias lugte durchs Gebüsch. Niemand zu sehen. Das grüne, barackenartige Haus mit Antenne auf dem Dach. Flüchtlinge hatten es sich gebaut und dann verkauft an den Dichter. Schwer vorzustellen, was dort jetzt vor sich ging. Vermutlich machte der Mann jetzt Urlaub in Südfrankreich. Traf sich dort mit Freunden, von denen dann Gruppenfotos gemacht wurden, später in der Biographie abgebildet: Der Autor in Nizza, dritter von links. – Matthias konnte nicht wissen, daß Sowtschick am Fenster saß und auch überlegte, wie er diesen Tag sinnvoll ausfüllen könnte. Bog sich aber hinter die Gardine, als er den Radfahrer dort auf der Straße bemerkte, der überdeutlich herüberguckte und jetzt ein Notizbuch hervorholte und was aufschrieb. Ein Mensch mit Fahrrad und Anhänger… Das hätte ihm noch gefehlt. Lieber zur Frau in die Küche gehen, was sie da mal wieder Schönes kocht.
Alles aufschreiben – das wäre auch noch eine Möglichkeit, dachte Matthias. Vielleicht ist das die Rettung. Aber womit fängt man an? Und: Was gibt es denn hier aufzuschreiben?
Er setzte sich auf die Querstange seines Rades und notierte nicht etwa, daß er jetzt dort drüben ein grünes Holzhaus mit weißgestrichenem Fenster sieht, oder: daß das eine gute Idee war, alles aufzuschreiben, was man sieht, warum nicht?, sondern er hielt ein Bild fest, woran er sich schon den ganzen Vormittag erinnerte:«Ein Hafenbecken, kleine Wellen schwappen an die bemooste Kaimauer.»Eine Art Gedicht hätte das werden können. Aber an wen hätte er es richten sollen?
Also essen gehen in die«Linde». Die traurige Schwiegertochter war nicht anwesend. Den Bierschaum strich eine andere Frauensperson ab. Als sie ihm das Bier brachte, sagte er:«O wie schön, eine so freundliche und hübsche Bedienung?»Oder so was. Und die sagte kurz:«Nächste Woche ist Andrea wieder da.»
Hier hatte es sich also herumgesprochen, trotz aller Vorsicht, daß ihm das
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