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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sprache, daß es zurückgegangen sei in ihr Heimatland. Es sei ein janusköpfiges Verhältnis gewesen mit diesem Mädchen, er hätte sich ihm zugewandt, vom ersten Tage an, in ehrlichem Bemühen um Völkerverständigung und Frieden, so manche Stunde geopfert, aber sie habe woanders ihr Glück gesucht.
    Nun mußte der Spaziergang beendet werden: Die Abdeckerei in Eistedt blies Abgaswolken aus: durchdringende Schwaden von gerösteten Brötchen legten sich über die Landschaft.

    Matthias fuhr nach Hause.«Sieh an», dachte er,«Carla…»Ganz in den Röstgeruch gehüllt, probierte er, wie lange er die Luft anhalten kann beim Strampeln. Er stellt sich große Pulverisierungstrommeln vor, in denen das verbrannte Fleisch zu Kompost verarbeitet wird.
    Im Glumm kletterten die drei Kleinen vom ersten Schuljahr auf einem Baum herum. Es war die Poleneiche, die einen großen Ast weitab streckte. Hier war der blutschänderische Pole, vom Ortsbauernführer herbeigeschleppt, mit Trommelschlag durchs Dorf geführt, ein kleiner blonder Junge, vom Dorfpolizisten aufgeknüpft, und alle hatten zugucken müssen. Das Mädel – wie hieß es man noch? -, kahlgeschoren, hatte unter dem Galgen gestanden. Nie wieder was gehört von ihr. – Vielleicht waren hier ja auch im Mittelalter schon Bauern aufgehängt worden? Matthias hatte mal ein Bild gesehen von plündernden Landsknechten, und in der Eiche wie Fledermäuse die Gehenkten…

    Er hielt an und pflückte die Kinder einzeln vom Baum herunter, obwohl sie auch aus eigener Kraft hätten absteigen können. Der Junge sprang ihm entgegen, Ditte ließ sich auffangen, und Ursula, das dünne Mädchen, glitt mit deutlichen Verzögerungen an ihm herab. Er setzte sie allesamt in seinen Anhänger und holperte nach Haus.

39

    I rgendwie war es herausgekommen, daß in der Moorsiedlung eine alte Frau lebte, die Bauernteller besaß. Frau Herzog hieß sie, Ilse Herzog. Pastor Ortlepp, Lehrer Klein und Matthias erfuhren gleichzeitig davon, und es war schon merkwürdig, daß sie am selben Tag zur selben Stunde aufbrachen, um das Nest auszunehmen.

    Matthias kannte das Haus, die bucklige alte Frau hatte ihm damals, an seinem ersten Tag, mit dem Krückstock den Weg nach Klein-Wense gezeigt, und er hatte nicht einmal guten Tag gesagt. Das würde sich jetzt nachteilig auswirken, damit war zu rechnen.

    Die Frau hatte einen blinden Sohn, der in einem Verschlag lebte und dort Küchenstühle mit neuem Flechtwerk ausstattete, was er in der Blindenschule gelernt hatte. Er bekam kaum Aufträge, weil es Ewigkeiten dauerte, bis er die Stühle repariert hatte. Auf allen Schützenfesten der Umgebung sah man ihn sich durch die Menge schaufeln, an der Theke hockte er dann mit rollenden Augenbällen, und die jungen Leute machten sich einen Spaß daraus, ihn zu foppen.

    Als Matthias eintraf mit seinem Fahrradanhänger, von dem heiseren Hofhund empfangen, saß die Frau bei ihrem Sohn und las ihm Bibelsprüche aus einem Tageskalender vor. Der Pastor, der hinzutrat, kannte diese Sprüche, er fingerte ungeduldig an den Brennholzscheiten herum, die neben der Lagerstatt des Blinden aufgestapelt lagen. Korinther 13: schon gut, schon gut. Er hatte schließlich seine Zeit nicht gestohlen.

    Dann kam Lehrer Klein, der brachte Leben in die Bude. Der hatte Erfahrung mit extremen Schicksalen, täglich mußte er mit seinem kranken Sohn auskommen und mit seiner kränkelnden Frau, und das gab ihm eine gewisse Robustheit.
    Krank waren die beiden Moorleute nun nicht, das konnte man nicht behaupten, alt und bucklig die Mutter und blind der Sohn, aber nicht krank.«Eigenbrötlerisch», so hätte man sie nennen können. Das hatte mit der Abgelegenheit des Hofes zu tun. Statt einer Kuh hatten diese Leute Ziegen. Vor dem Haus eine Pumpe und hinter dem Haus das Plumpsklo. Nach dem Krieg war der Hof eine Anlaufstelle für dunkle Elemente gewesen, hier hatten Zigaretten gegen Wurst eingetauscht werden können und umgekehrt, Städter kamen mit einer Rolle Dachpappe und gingen mit einem Eimer voll Schmalz wieder fort, und wer dringend Nägel brauchte, zum Wiederaufbau des abgebrannten Hauses, kriegte sie bei Frau Herzog, die damals noch äußerst resolut gewesen war. Polen und Russen hatten bei ihr Feste gefeiert, und bei besonderen Bedürfnissen konnte ohne weiteres an ihre Fensterlade geklopft werden, zu welcher Stunde auch immer.

    «Na, Ilse?»schrie Lehrer Klein, der annahm, die Alte sei taub, weil sie bucklicht war.«Wo hast du das Zeug?»
    Er

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