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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schulrats wolle man mal absehen einstweilen. Der Justitiar würde freilich noch gehört werden müssen.«Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?»
    Also: Alles wieder herausrücken, schweren Herzens hingeben, Stück für Stück… Und Müllermann-Ohfe ließ sich Handtücher reichen und wickelte die Teller ein, und es war am hellen Licht des Tages zu sehen, daß es sich um prachtvolle Stücke handelte. Noch nie gesehen so was! Ob man eine Ausgleichszahlung würde erwirken können, das wäre noch sehr fraglich, hinsichtlich des Eigentums wäre die Sache doch wohl eindeutig, nicht wahr? Grundsätzlich verfällt Hehlerware dem Staat – Hehler sind Stehler -, da kann man noch froh sein, daß keine Anzeige erstattet wird… im Grunde sehr ernst die ganze Sache… Und dann fuhr Müllermann-Ohfe nach Haus und sah sich die Stücke in Ruhe an, und bei vierunddreißig Tellern kommt’s ja nicht so genau drauf an, ob es nicht vielleicht bloß dreiunddreißig sind? – Daß es sechsunddreißig gewesen waren und sie sich in der Nacht bei Pastor und Lehrer um je ein Exemplar vermindert hatten, war eine andere Sache, die ging niemanden was an.
    «Weißt du, Annegret», sagte der Pastor zu seiner Frau,«am besten wird es sein, wir geben das Stück nach Pittsburgh zu Ingrid.»

    Müllermann fuhr dann noch zu Frau Herzog, klopfte an die Fensterlade und heizte ihr tüchtig ein, aber diese Frau konnte man mit «Polizei»nicht schrecken, die kannte das von früher, und: Wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren. Dänische Teller waren jedenfalls nicht mehr da.
    Allenfalls Waschpulver wäre zu offerieren gewesen.

40

    M atthias war gerade dabei, die Tafel zu wischen, erst trocken vor, dann zweimal naß, mit schiefgelegtem Kopf und Zunge zwischen den Lippen, da fuhr ein Volkswagen mit Schwung auf den Hof, und ihm entstieg der Schulrat zur längst fälligen unangemeldeten Visitation! Schon einmal vergeblich gekommen, und nun mal Tacheles reden, nun die Karten auf den Tisch! – Es war ein ganz gewöhnlicher Dienstag, zweite Stunde, und nichts Besonderes lag an. Matthias hatte eigentlich eine ruhige Kugel schieben wollen, nun blieb ihm erst einmal die Luft weg. Wie gut, daß er sich rasiert hatte und eine Krawatte trug!

    Der Schulrat war gut gelaunt, herrlich, der Bausparvertrag würde in den nächsten Tagen zugeteilt werden, und die Tochter zum Jugendaustausch nach Bordeaux?
    Herrlich auch, daß er in dieser Schule einen extra Garderobenhaken vorfand, wie er es immer und immer wieder angeregt hatte in jeder Kreislehrerversammlung landauf, landab: einen Extrahaken, etwas höher als die Kinderhaken, damit der Mantel nicht auf dem Boden schleift und sich vollsaugt mit Fußbodenöl.
    Das war schon mal positiv. Das schlug schon mal zu Buche.
    Er begrüßte Matthias nicht gerade mit beiden Händen, aber er lobte ihn für die saubere Arbeit, die er da gerade vollbrachte, das Tafelwischen, eine handwerklich saubere Arbeit, ein Schulmeister müsse auch ein guter Handwerker sein, o-a-nisatorisch und so weiter und so fort. Nichts abstoßender als die jungen Kolleginnen, die oft mit so einer verächtlichen Bewegung das abwischten, was sie gerade eben angeschrieben haben – achteten ihre eigene Arbeit nicht! Er habe schon Wandtafeln gesehen, auf denen das ganze Menü einer Woche zurückzuverfolgen war, immer wieder kriege er das zu sehen. Schrecklich!
    Von den neumodischen Wandtafeln aus Glas hielte er nichts, ihm waren die stinknormalen schwarzen, aus gutem deutschem Fichtenholz, mit roten Linien, am liebsten, natürlich ohne die eingravierten vermaledeiten Notenstriche.
    Ja, das Tafelwischen. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag!
    In seiner Lehrerzeit habe er auch immer besonderen Wert auf eine saubere Tafel gelegt und auf gute Kreide. Eine neue Stunde – eine frische Tafel. Sei das denn nun so schwer zu begreifen? Mit diesen einfachen Dingen ginge es doch schon los…

    Auch daß die Kinder sich bei seinem Eintreten donnernd erhoben – die Sitzflächen krachten zurück -, machte einen guten Eindruck,«Egon»wehrte allerdings ab, bleibt sitzen, bleibt sitzen! Ich bin ja auch nur ein Mensch… Aber gut auch, daß hier alte Sitten noch hochgehalten wurden. Er war nicht fürs Dämmeeinreißen. Die Spielregeln nicht ändern, unter denen die Gesellschaft angetreten ist, sonst kommen die Leute eines Tages auf die Idee, den ganzen Staat umzukrempeln.
    «Auf die Façon kommt es an.»

    Während er einzelne Mädchen unters Kinn faßte und

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