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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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so vorstelle. Auf den großen Höfen, in Kriegs-und Nachkriegszeiten, die Kriegsgefangenen und die Flüchtlinge. Sexuelle Aushungerung ohne Beispiel! In der Kriegszeit und danach hätte sozusagen jeder mit jedem, er wolle das nicht weiter ausführen. Das Ende vom Lied: Flüchtling und Bauersfrau gemeinsam auf’m Motorrad zum Arzt gefahren, weil sie sich gegenseitig angesteckt hatten!
    «Und die Bauersfrauen im Krieg? Wenn die feschen Franzosen auf dem Hof umherliefen, Jungs aus Paris oder sonstwoher, das Käppi schief auf dem Ohr? Mit Bommel vorne dran?»Da hätte so manche Frau ihre Butze aufgeschoben.
    Während sich die Bauernsöhne und Väter in Budapest oder Warschau vergnügten, hätten die Frauen sich eben auf ihre Weise schadlos gehalten.
    «Was meinen Sie denn!»Die Kirchenbücher gäben darüber beredt Auskunft, jeweils neun Monate später.
    Ortlepp spielte ein wenig den Landpfarrer, der er ja war, und blieb stehen, um die köstliche Landluft einzuatmen. Dann ließ er sich nieder gleich neben einem zerbeulten, rostigen Emaileimer und lagerte sich und lud Matthias ein, es ihm gleichzutun; Adalbert Stifter gelesen und Wilhelm Raabe und sich immer ein Herz bewahrt für die Natur, allerdings durch Geist gefiltert, dafür war man ja ein denkender Mensch. Während seiner Studienzeit Wanderungen mit Klampfe. Bei so einer Gelegenheit habe er ja auch seine Frau kennengelernt, beim Abkochen auf der Wiese.«Wissen Sie das eigentlich? – Drum, drum, diri, hei! diri-diri drum… »

    Matthias ahnte, daß hier noch anderes zur Sprache kommen sollte, möglicherweise eine Art Beichte? Ortlepp würde gleich weit ausholen, von eigener Manneskraft sprechen, mit der man immer rechnen muß, auch wenn man gerade an nichts Böses denkt, täglich und stündlich, und meist zur Unzeit! Von unterirdischen Gelüsten, die ja auch oft vom anderen Geschlecht ausgingen, die Hitze des Blutes? Durch teuflische Gelegenheit begünstigt?

    Matthias wollte diese Beichte nicht hören, er wußte ja längst, daß Ortlepp ein Schlitzohr war, diverse Nachkömmlinge, im Auto gezeugt. Oder wollte der Mann hier irgendwie auf den Busch klopfen? Wie er als junger Lehrer das anstelle, so ganz«ohne»? Matthias wollte jetzt mehr von Bauer Freede hören, wollte wissen, um was es sich denn nun handle, das Geheimnis, von dessen Existenz er keine Ahnung gehabt hatte bisher, und er unterbrach den Pfarrer, der bereits von seiner Mutter zu schwärmen begann, im Winter auf deren warmem Schoß gesessen, von seiner glücklichen Kindheit überhaupt, seine beiden Schwestern: ihn durch den Garten gejagt und mit einer Gerte geschlagen, Huckepack getragen auch oder ein ums andere Mal durchgekitzelt?…

    Matthias unterbrach ihn also und wies auf das weite Land, die Mühle, links, mit dem abgebrochenen Flügel: Gehöre diese Ruine eigentlich auch zu seinem Kirchspiel? Oder gehöre sie nach Kreuzthal? Was das wohl für Leute seien, die dort wohnten?
    Dort rechts, das war Klein-Wense, und wenn man genau hinsah, konnte man die nagelneuen Metallsilotürme des Landhandels ausmachen und gleich daneben das Gehöft von Bauer Fitschen, der übrigens auch kein Kind von Traurigkeit gewesen war, und der Vater ein schwerer Nazi.
    «Was meinen Sie», sagte der Pastor,«wenn wir jetzt eine Zweikommazwei hätten, ob wir wohl das Silo treffen würden?»

    Und nun Bauer Freede.
    Ja, und dann rückte Ortlepp eben damit heraus, daß dessen Frau lebenslustig und leichtblütig sich mit Charles, einem Franzosen,«eingelassen»habe. Tuberkeln verursachten ja oftmals eine unmäßige Hitze des Blutes…, und da habe sie eben in einer schwachen Stunde, 1943, ein Jahr nach dem Heldentod ihres Sohnes, nicht an sich halten können, wahrscheinlich vom Ehemann auch noch dazu ermuntert, und ihre Butze geöffnet.
    «Ein Hoferbe mußte her, koste es, was es wolle… »
    Und weil Freede selbst wohl nicht«gekonnt»habe, wie man’s landläufig ausdrücke, habe man den Dingen eben ihren Lauf gelassen und so weiter und so fort, und da sei dann jedoch statt eines soliden Hoferbens Carla zur Welt gekommen, ein Mädchen also, eine ziemliche Enttäuschung.
    «Man kann ihr die gallische Abkunft ansehen, lieber Freund, finden Sie nicht auch? Das schwarze Haar? Und das feinere Profil?»So ein bißchen was von der Jeanne d’Arc habe sie an sich, meine er.«Und alle haben das mitgekriegt. Das ganze Dorf. Aber als man dann behördlicherseits hellhörig wurde, war der Krieg zu Ende.»Carla sei zu ihm in die

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