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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte keine Lust, mit orientalischer Höflichkeit vorzugehen, er mußte bäuerliches Kulturgut vor Vernichtung retten, er hatte also Verantwortung für die Dinge zu tragen und konnte hier nicht herumscharwenzeln.
    Als auch der Pastor in sie drang, raffte sich die Alte auf, nahm den Schlüssel vom Haken und ging voran über den Hof und in die Küche ihres kleinen Hauses. Lehrer Klein ließ dem Pastor den Vortritt, und deshalb mußte Matthias seinerseits den Kollegen vorangehen lassen, und das war ungünstig, denn die beiden Herren deckten mit ihren breiten Rücken den Tisch ab, auf den die Alte ihre Teller gestapelt hatte. Das Geschepper des in Stroh gebetteten Geschirrs war deutlich zu hören, aber Matthias konnte nichts sehen! Der mußte sich mit dem blinden Sohn befassen, der schnaufend neben ihm stand und die Augenbälle verdrehte.
    Ein Rätsel war es, wieso die Frau so viele Zierteller besaß und hortete, woher sie die hatte und wozu eigentlich? Diese Frage wurde nicht weiter angesprochen. Fest stand, daß hier altes Steinzeug auf dem Tisch stand, bunt bemalt, das vor der Vernichtung durch unsachgemäße Behandlung bewahrt werden mußte, in eine größere Sammlung integriert und der Öffentlichkeit in einer dann einzurichtenden Heimatstube zugänglich gemacht.

    «Gute Frau», sagte der Pastor,«Sie wissen wohl, daß das alles nicht viel wert ist?»
    Das nahm die Frau nun nicht gerade an. Sie mochte sich fragen, wieso sich denn die drei Herren hierherbemüht hatten, wenn das alles nicht viel wert sei? – Die Herren verstanden kaum ihre Gier zu zügeln, und das trieb den Preis in die Höhe. Enttäuschung machte sich breit, als sich herausstellte, daß die meisten Teller rätselhafterweise dänisch beschriftet waren! Dänisch!

    Matthias sah sich ausgeschlossen von den Geschäften, aber er hatte Lust, sich an dem Geraffel zu beteiligen. Und so griff er denn einfach zwischen den beiden Herrn hindurch und zog aufs Geratewohl einen blauen Teller heraus, auf dem stand auf gut deutsch:«In alter Freundschaft». Und er sagte ohne weiteres:«Zwanzig Mark würde ich Ihnen dafür geben.»Keine Ahnung, was die andern beiden sich gedacht hatten, unter zwanzig Mark hätte man kaum gehen können, aber das Zielsichere seines Vorgehens feuerte sie an. Nun griffen sie zu:«Diesen? Nein den, welchen nehmen Sie? Dänisch? Na, das macht doch nichts, das ist doch originell… Ich will Ihnen mal was sagen… »Die Preise gingen in die Höhe, aber trotzdem war im Handumdrehen der Tisch leer, und jeder hatte einen Stoß bei sich stehen, Brieftaschen wurden gezückt, und Frau Herzog guckte betrübt in die Gegend. Sie hatte zwar mehr bekommen, als sie erwartete, aber es hätte natürlich noch mehr sein können.

    Nach getaner Arbeit zerstreute sich die Gesellschaft rasch, Pastor und Lehrer trugen die Tellerstapel hinaus, vom Gekrächz des Schäferhundes geleitet, etwas clownhaft und wie auf der Bühne – vorsichtig, vorsichtig, daß nicht auf den letzten Drücker noch was kaputtgeht -, und brausten ohne weiteres auf und davon.

    Matthias blieb noch einen Augenblick sitzen. Er sah der Frau zu, wie sie das Stroh zusammennahm und in den Herd tat. Ihr Sohn brummte und nölte, der wollte wissen, was das alles zu bedeuten hat. Drängte sich gar an ihn, praktizierte Tuchfühlung, und deshalb machte sich Matthias denn auch bald davon, er schob sein Rad auf den Damm und sah über das Moor hinweg, jetzt, in der Dämmerung, noch unheimlicher als sonst.
    Er setzte sich auf einen Torfhaufen und stierte hinüber. Und da war es ihm eben, daß er in der Ferne die Gespensterfrau mit dem langen blonden Haar zu sehen meinte, winkte sie ihm?

    Matthias wußte, daß das ein Trugbild war, und er wollte sich auf so etwas nicht einlassen. Er nahm sein Rad auf und wickelte den Teller in eine Decke und legte ihn in den Anhänger. Drüben stand die Alte noch auf ihrem Hof, sie schien auf etwas zu warten, also ging Matthias noch einmal zu ihr hinüber.
    Sie hätt’ da noch etwas, sagte die Alte und lud Matthias ein, in die Stube zu treten, ärmlich niedrig, finster. Sie öffnete einen Schrank, erst rechts, dann links, und in dem Schrank, und das war überraschend, lagen Hunderte von Packungen Waschpulver! So wenig sie ihre Wäsche und die ihres Sohnes auch waschen mochte, sie besaß einen ungeheuren Vorrat an Waschpulver! In Kriegs-und Nachkriegszeiten war das Zeug knapp gewesen, und da hatte sie dann nach dem Krieg jeden Monat eine Packung gekauft, als

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