Heile Welt
Sprechstunde gekommen und habe ihm erzählt, was alle Welt wußte, daß nämlich Charles ihr Vater sei. Auf dem Totenbett habe der alte Freede ihr das erzählt…
Im Grunde sei der Krieg trotz des gewaltigen Aderlasses – Ortlepp verwendete das Wort«Hekatomben»- ein Segen gewesen hinsichtlich des Blutvermischens auf dem Lande. Flüchtlinge, durch fortwährende Inzucht im fernen Ostpreußen oder in Schlesien vielleicht schon leicht idiotisch – Degeneration sei oftmals am chaotischen Zahnstand auszumachen -, in Schlesien wohl weniger als in Ostpreußen, dächte er… Und dieses Volk dann gekreuzt mit Einheimischen, an denen man Degenerationserscheinungen ja auch schon lange habe ausmachen können, diese Leutchen hätten dann kopuliert, durch die Natur aufs höchste angestachelt: Das hätte sich zu frischer Gesundheit aufgeschaukelt, man könne es direkt sehen! Hören! Riechen! Fühlen!
Wenn er zum Beispiel hier im schönen Sassenholz am Schulhof vorübergehe, zur Pausenzeit, was er gerne tue, weil er sich über Jugend stets freue: dies Gekribbel und Gekrabbel! Mit früheren Zeiten doch nicht zu vergleichen, wo ein jeder nur immer dumpf in seiner Ecke gesessen habe?
Der Krieg der Nazis habe also indirekt, recht verstanden, zur Gesundung des ganzen Volkes geführt. Eine ostpreußische Kriegerwitwe und ein Bombenflüchtling aus Essen? Wann hätten zwei so unterschiedliche Naturen je zueinander finden können ohne den von den Nazis angezettelten Krieg?
Oder, um konkret zu bleiben: ein Franzose aus Le Havre und eine Bauersfrau in Klein-Wense?
«Was meinen Sie? Das wird noch in hundert Jahren zu spüren sein.»Vielleicht steige Deutschland dank dieser Blutsvermischung doch noch auf zum führenden Volk Europas? Wo habe es je etwas Ähnliches gegeben? Wenn er nur an die Vogesen denke, 1940 auf dem Vormarsch, hier und da ein armseliger Weiher und dazwischen nichts: Am chaotischen Zahnstand könne man Degeneration am ehesten ausmachen, wenn alles wie Kraut und Rüben durcheinandersteht.
Sein Hund zum Beispiel, der gute Phylax, sei zwar von erstklassiger Rasse, aber absolut lahm und uninteressiert, für nichts zu begeistern, nur beim Fressen stelle er die Rute auf. Aber was ein richtiger Dorfköter sei, eine sogenannte Promenadenmischung, das sei doch ein ganz anderer Schnack: lebhaft, klug… Er habe schon gesagt: Das nächstemal schaffen wir uns einen Dorfköter an. Zirkusmenschen befaßten sich nur mit mischrassigen Kötern, niemals mit verblödeten Schäferhunden, die einen Stammbaum bis ins vorige Jahrhundert vorweisen könnten.
Den Seitenaspekt der Blutsauffrischung, das Vergewaltigen im Osten, ließ er unerwähnt. Aber beide dachten an den jungen Polen, dem ein warmer Frühlingsabend zum Verhängnis geworden war, aufgehängt!
«Alle wußten es, aber keiner sprach davon», dachte Matthias, und er meinte damit die Sache mit Carla. Nun, da der alte Freede hinübergegangen war, sich im Jenseits ächzend in dem Kreis seiner Väter niedergelassen hatte, konnte man ein bißchen dreister wispern. Und der Pastor tat’s, und er sprach von Carlas schlanker Figur, über deren Anblick er sich jedesmal freue, wenn er sie einmal zufällig zu Gesicht bekomme. Das Puerile! Vor einiger Zeit habe er sie auf einem Rübenfeld gesehen, bis an den Horizont eine Rübe hinter der anderen, und sie da so einsam mit einer Hacke, die Furchen entlanggegangen und das Unkraut weggehackt von einer Rübe zur anderen…
Ihr französischer Vater dann, Sergeant Charles aus Le Havre, Ende des Krieges an einer Grippe gestorben.
Da sie nun so einträchtig nebeneinandersaßen, kam der Pfarrer aufs Handlesen zu sprechen. Er wisse zwar, daß das Unfug sei, aber aus Spaß – ob er ihm nicht mal verdeutlichen könne, was die Linien – rein theoretisch – bedeuteten? Und er hielt Matthias vertrauensvoll die weiche Hand entgegen. Daß Matthias auf die Linien des Daumenballens wies und mannigfaltige Leidenschaften daraus ablas, gefiel ihm, und auch der Venushügel am Mittelfinger, deutlich ausgeprägt!, versetzte ihn in gute Laune.
Die beiden setzten ihren Waldgang fort. Die Schneise, in der ein Bauer noch nach dem Krieg auf eine Mine gefahren war und mit seinem Gespann in Stücke gerissen. – Das kleine grüne Haus, in dem der Schriftsteller wohnte: heute viel Betrieb, Autos an-und abfahrend. Der hatte wohl einen dicken Fisch gelandet. Endlich ging es mit der deutschen Literatur wieder aufwärts!
Nun kam auch das englische Mädchen Denny zur
Weitere Kostenlose Bücher