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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wir es hinter uns.

    Um halb acht Uhr waren die Spiele angesetzt, es begann also um neun. Von nah und fern eilten die Schüler herbei, zu Fuß und per Rad. Als auch Matthias mit den Seinen überpünktlich eintraf – auf sauber geputzten Fahrrädern durch den kühlen Wald, die Schulfahnen vorneweg -, wurden sie mit Geschrei von den andern Schülern empfangen:«Da kommen die Idioten aus Klein-Wense», hieß es, und die Räder der Mädchen wurden festgehalten hinten am Gepäckträger, daß die vom gestoppten Rad abhampeln mußten mit gegrätschten Beinen. Kollege Klein sagte dazu:«Das geht aber nicht, Herr Kollege, daß Sie hier mit allemann über den Rasen kutschieren!»
    In die Nähe der Schulklos zogen sie sich zurück, dort lagerten sie sich, dort fühlten sie sich sicher. Matthias ging in die Schule hinein, um sich irgendwie zur Stelle zu melden, nicht ohne seine Schüler eindringlich zu vermahnen, beisammen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren. Einer paßt auf den anderen auf!
    Die Lehrer klumpten auf dem Korridor zusammen, weil gerade eine Husche über das Dorf strich. Es dauerte eine Weile, bis man ihn wahrnahm, dann aber hieß es:«Ah! Klein-Wense. Auch schon da?»Und ein jeder schüttelte ihm die Hand, ein wenig spöttisch, weil er aus Klein-Wense kam. Seines Vorgängers wurde gedacht, an sich ein netter Mensch, ein tüchtiger Kopfrechner, der die Lehrer bei den letzten Bundesjugendspielen auf dem Sportfeld mit einer Schnapsbar empfangen hatte! Und Matthias wurde angeguckt, als ob er was damit zu tun hätte. Und weil er eine weiße Hose trug, wurde gesagt:«Na, heute ganz auf Afrika?»

    «Also dann, liebe Kollegen…«
    Uhrenvergleich und schweren Herzens ab nach draußen. Den im Korridor herumwühlenden Kindern wurde von den verschiedensten Lehrern schärfstens Bescheid gesagt, daß das nicht geht, auf keinen Fall, hier herumzudrängeln, wie leicht stößt man sich den Kopf am Wasserhahn! Exemplarische Backpfeifen wurden verteilt, was sie überhaupt zu suchen haben hier drinnen? Ob sie etwa gegen frische Luft sind?
    «Du da, was hast du hier zu grinsen?»
    Dann draußen für Ordnung sorgen, das Gegröle und Geprügle beschwichtigen, durch Befehlsschreie und exemplarisches Knuffen.«Du meldest dich nachher bei mir…»Abseitsleute, die auf Bänken saßen und sich freundlich unterhielten, wurden aufgescheucht durch ermunternde Zurufe.

    Dann wurden die Wettkampfstätten unter der Führung des ausrichtenden Lehrers abgeschritten, in keilförmiger Formation: Kollege Klein vorneweg, die andern Lehrer hinterherbummelnd: Waren die Laufbahnen ordnungsgemäß mit Kreidestaub markiert? Standen denn die Fähnchen am Wurffeld richtig: zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Meter…? An der Sprunggrube war der doppelte Absprungbalken, ebenfalls mit Kreidestaub markiert, Harke und Schaufel lagen bereit. Ob er das nicht fabelhaft gemacht hat?, fragte der Kollege und: Ja, auf seine Kinder ist Verlaß.
    Bei dieser Gelegenheit zeigte Klein den Kollegen, wie toll er den Schulhof ausgebaut hat, gegen alle möglichen Widerstände der Bauern. Die Spielecke für die Kleinen mit Klettergerät, bequeme Bänke für die Größeren, durch Buschwerk geschützt, damit sie sich zum Gespräch zuammenfänden oder zu gemeinsamem Gesang. – Sein Kummer war, daß die Gemeindeväter sich von Zeit zu Zeit in der Schule zu Sitzungen trafen, mit ihren Zigarren alles verräucherten und sogar Bier tränken und alles durcheinanderbrächten. Schulischen Dingen würde in dieser Gemeinde leider wenig Interesse entgegengebracht. Auf jedweden Antrag werde ihm die Antwort zuteil:«Köst’ datt watt?»
    Nein, das könnten sie nicht sagen, meinten die andern Lehrer, ihre Gemeindeväter wären äußerst aufgeschlossen, hätten für jeden Wunsch ein offenes Ohr. Vielleicht mache er da irgend etwas falsch? Ein bißchen diplomatisch müsse man schon vorgehen, mit dem Kopf durch die Wand, das habe noch nie Früchte getragen.
    Stichnoth stapfte kopfschüttelnd über die Wiese: Auch hier war für Verkehrsunterricht nichts getan, eine einzige Tafel mit den gängigen Verkehrszeichen, im Korridor der Schule aufgehängt, bringe ja nicht das geringste. Er schritt mit Meterschritten ein Areal ab, das für den Verkehrsgarten abgetrennt werden könnte…

    Auf dem Acker neben der Sportwiese waren Frauen dabei, Kartoffeln zu sammeln. Sie rutschten auf den Knien die Furchen entlang: kurz mal innehalten und gucken, was heute in der Schule los ist, aber schnell

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