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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Äußerstes gegeben haben…
    Durch Feld und Buchenhallen,
bald singend, bald fröhlich still,
recht lustig sei vor allem,
wer’s Reisen wählen will…
    wurde gesungen, schrumm-schrumm machte die Gitarre, und der Fotograf kam gelaufen, Blende fünf Komma sechs. Siegerehrung! Da richteten sich auch die Kartoffelsammlerinnen auf, und sogar der Bauer auf seinem Trecker hielt inne, das wollten sie mitkriegen, wer hier alles Erster geworden ist.

    Die Verlesung der über hundert Sieger dauerte sehr lange, weil Klein die Namen auf den Karten nur mühsam entziffern konnte -«Ruhe dahinten!»-, manche Namen gar völlig falsch aussprach, weswegen denn auch hin und wieder ein herzliches Gelächter aufwallte.
    Absoluter Sieger war ein Mädchen von zwölf Jahren. Hinsichtlich ihres Wuchses und der für sie günstigen Punktestaffelung hatte sie alles weit hinter sich gelassen und sich den vom Landkreis ausgesetzten Buchpreis ehrlich verdient:«Kon Tiki»von Thor Heyerdal. Das Buch und die Urkunde sowie die Goldnadel aus Messing wurden ihr mit anerkennenden Worten überreicht. Vielleicht auch deshalb, weil sie wie Deutschlands Jugend aussah. Der Fotograf wurde gebeten, das Kind noch einmal zu fotografieren, vielleicht wird das erste Foto ja nichts… und dann das Bild einrahmen und in das Lehrerzimmer hängen. Ob die ersten Sieger zum Ausscheidungs-und Vergleichskampf nach Hannover gerufen werden würden, stand noch nicht fest.

    Die andern Besten bekamen ebenfalls Urkunden und Anstecknadeln, freilich minderer Sorte. Der Rest bekam gar nichts. Es solle ihn nicht wundern, sagte Lehrer Klein, wenn hier noch mal ein Olympiasieger draus emporwachse, aus diesen schulischen Bemühungen. Vielleicht in ein paar Jahren? Dächt’ er? Da mal aufpassen! Der kommt dann in sein Heimatdorf und sieht sich seine alte Schule an und zeigt den Kindern all seine Medaillen…

    Trotz pädagogischer Korrekturen war Klein-Wense das absolute Schlußlicht bei diesem Wettkampf, das stellte sich heraus. Das hatte irgendwie noch mit Lehrer Schmauch zu tun, der seine Kollegen hinter einer Schnapsbar empfangen hatte, auf freiem Feld! Da muß man sich nicht wundern, daß die Kinder nicht laufen und nicht springen können… Mit Ach und Krach gab’s noch zwei Urkunden, Gott sei Dank. Ja, wenn man Hinni erlaubt hätte, seine Sprungseilkünste vorzuführen, im Ausweis hatte er es stehen, daß er es eintausendmal vollbringen kann, dann hätte man vielleicht noch eine mehr eingeheimst. Aber wie soll einer denn mit Schnürstiefeln und in langer Hosenträgerhose um die Wette laufen? Und springen? Wer bringt’s da zu was?

    Nach der Siegerehrung – bei der Olympiade in Berlin hatten die Sieger einen Eichenkranz aufs Haupt gedrückt bekommen-zogen sich die Lehrer zur Abschlußbesprechung in die«Linde»zurück, zu Bier und Schnaps. Das war auch schon deshalb geboten, weil es nun doch zu regnen anfing. Zwei Junglehrer ließ man zurück als Aufsicht über die sich chaotisch gebärdenden Schüler. Wahrscheinlich werde man den Frechsten die Urkunden wieder aberkennen, das wurde ein über das andere Mal verkündet. Das hätten sie sich dann selber zuzuschreiben. Hinni, der einen älteren Jungen mit einem einzigen Faustschlag zu Boden streckte, weil er ihn als Idioten aus Klein-Wense bezeichnet hatte, wurde hingegen irgendwie mit Hochachtung behandelt.
    Daß diese Bundesjugendspiele die besten seit drei Jahren gewesen seien, sagten die Lehrer in der«Linde», und der Schulrat wird sich bestimmt freuen über die vielen Sieger. Schade eigentlich, daß er sich nicht hat sehen lassen. Alle waren freudig erregt, nur Lehrer Klein war untröstlich, er hatte die Fahne vergessen aufzuziehen! Extra vorher noch waschen und bügeln lassen… Daß die Nationalhymne nicht gesungen worden war, fiel niemandem auf. Was den Unglücksraben Frohriep mit seinen Getränkegeldern anging, da würde wohl die schwarze Kasse in Angriff genommen werden müssen. Schade.

    Nachdem die Lehrer sich erfrischt hatten, zogen die einzelnen Schulen ab, Lehrer oder Lehrerin an der Spitze, ein Fahrrad hinter dem andern, die Lehrerinnen mit hocherhobenem Regenschirm. Matthias sammelte sein Häuflein, und ab ging’s durch den vor Nässe triefenden Wald. Nach Haus! Endlich nach Haus! Drei kostbare Nachmittagsstunden verschwendet, dafür aber einen Unterrichtstag gespart.

    Keine Ahnung hatte Matthias, wie er hätte bestehen sollen vor dem Dorf, wenn er beim Punkten nicht korrigierend eingegriffen hätte. Mehr

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