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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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weitermachen, da kommt ja der Trecker schon wieder an.

    Nun in die Hände klatschen: Alles aufstellen, jahrgangsweise und im Karree. Die vom Sport Befreiten rechts raus! Der arme kleine Jochen mit seinem verwachsenen Bein, desgleichen die größeren Mädchen, die einen Entschuldigungszettel vorweisen konnten. Die Wettkämpfe wurden eingeleitet durch das Lied«Mich brennt’s in meinen Reiseschuh’ n», von einem auf der Gitarre trumpfenden Lehrer begleitet, und dann hielt Lehrer Klein eine Ansprache. Es möge fair gekämpft werden, damit der Geist, der im Schulaufsichtskreis Kreuzthal herrsche, aufs neue sichtbar werde, und er hoffe und wünsche… Während der Mann redete, unterhielten sich die Lehrerinnen an seiner Seite über Unterleibsprobleme, und die Segler-Kameradschaft sprach über Böen, die manchmal aus dem Nichts kommen und ein Boot in Sekundenschnelle kentern lassen. Fotograf Wacker machte erste Aufnahmen.

    Als die Rede beendet war, verzogen sich die älteren Kollegen in das Schulhaus, sie machten es sich dort zwischen Jackenhaufen bequem. Ihnen würden die Wettkampfkarten beizuliefern sein, nach Beendigung der Spiele, damit sie die Punkte ausrechnen könnten. Einstweilen holten sie schon mal die Thermoskannen heraus. Der weißhaarige van Dechterong blieb draußen, um die ausrichtenden Kollegen durch sein Danebenstehen zu unterstützen, schwirrte dann jedoch ab zur Weiblichen Jugend B und sah dort nach dem Rechten.
    Die aufsichtsführenden Lehrer legten die Wettkampfkarten ordentlich aufeinander und klemmten Flatterndes mit Büroklammern fest.
    «Ich gehe wie letztes Mal zum Laufen, Herr Kollege…»Matthias hatte das auch vorgehabt, zum Laufen zu gehen: mit der Startklappe knallen oder mit der Stoppuhr stoppen, das hätte ihm gefallen können, aber dort hatte die Seglerkameradschaft schon sämtliche Positionen besetzt, das ließen die sich nicht nehmen, mit der Startklappe zu knallen und mit der Stoppuhr zu stoppen und zwischendurch zu rufen:«Laufen sollst du – nicht kriechen!»und«Zieh! zieh! zieh!»und«Du schläfst ja! Du schnarchst ja richtig…»Mancher von ihnen hielt gar zwei Stoppuhren in den Händen und eine Trillerpfeife zwischen den Zähnen, obwohl ein solches Gerät im Grunde abzulehnen war. Trillerpfeifen stammten noch aus der Nazizeit, beim Reichsarbeitsdienst war man damit getriezt worden, mit so was wollte man der Jugend nicht mehr kommen.

    An den Schlagballwerfern drückte sich Matthias vorüber, obwohl man ihm schon zugewinkt hatte, hier könne man noch jemanden brauchen! Beim Schlagball mußten die Bälle zurückgeworfen und nach jedem Wurf zurückgeschrien werden, wieviel Meter: also, das nun nicht.
    «Nimm das Handtuch aus der Backe!»wurde einem Helfer zugerufen, der es nicht laut genug vollbrachte.

    Da war es beim Springen angenehmer. An der Sprunggrube war eine ruhige Kugel zu schieben. Matthias ließ sich einen Stuhl bringen und setzte sich neben den Absprungbalken und sorgte dafür -«Um Gottes willen die Harke weg!»-, daß der Sand immer schön glatt geharkt ist, damit man es messen kann, wo der Springer aufgekommen ist mit Fuß, Hand oder Podex. Wenn die Harke aus Versehen liegenbleibt, dann springen die nichtsahnenden Kinder da drauf und bringen sich grauenhafte Verletzungen bei! In Schnakendorf hatte sich mal ein Mädchen den Kiefer ausgerenkt bei so was, und sie war für immer entstellt!
    Die Sonne schien, Matthias hätte seinen Strohhut gebrauchen können. Auf einen zweiten Stuhl zum Beinehochlegen verzichtete er.
    Bis auf Fräulein Jungmichel, die noch immer schwanger war, hatten sich die andern Damen auch alle zur Sprunggrube begeben, sie standen fröstelnd um ihn herum, obwohl die Sonne schien. Elfriede Wehrschild aus Hamersiek hatte ihr germanisches Gesäß in eine Trainingshose gezwängt und lächelte Matthias freundlich zu: Wir beide kennen uns ja nun schon. Sie hatte ihr Strähnenhaar zum Pferdeschwanz gebunden und sah eigentlich ganz vernünftig aus. Wenn man sie allerdings, wie die Schüler, im Laufen, Werfen und Springen hätte prüfen wollen, wär das ein ziemliches Malheur geworden. Aber Matthias wäre der letzte gewesen, der ihr das vorgeworfen hätte, unvergessen waren die Niederlagen in seiner Jugendzeit. Reckturnen!, wenn er daran noch dachte.
    Dr. Feist erschien, der gab die Anordnung, daß die Harke nach jedem Sprung sorgsam entfernt werden müsse. Dann schlenderte er zur Laufbahn und dann an sein Auto. Er kann sich hier schließlich nicht den

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