Heile Welt
grade und schob ein Lederplättchen in die Halterung des Anhängers, damit es nicht so klappert. Dann holte er einen alten Lastwagenrückspiegel aus dem Schuppen und schraubte ihn an den Lenker. Mit einem solchen Spiegel sähe man nach hinten besser als nach vorn!
Dann erwog er, ob Matthias sich nicht einen Hilfsmotor auf den Gepäckträger montieren lassen wollte, die Hinterradnabe motorisieren? Er könne ihm da was besorgen, anbringen und so weiter. Wozu die Strampelei?
Ein dolles Ding wär’ es ja, wenn man den Motor in den Anhänger montiere und dann den Antrieb über ein Kardangetriebe auf das Hinterrad leiten?
Oder vorn, vor den Lenker einen zweiten Gepäckträger schrauben und den kleinen Motor darauf anbringen, aber dann gäb’s vielleicht Schwierigkeiten beim Lenken?
Er habe auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, ausrangierte Rollstühle mit Verdeck zu versehen, hinten einen Motor anzubringen und dann über die Landstraße zu schnurren. Mit so einem Vehikel könne man ja bis nach Italien fahren! Führerscheinfrei. Für so eine skurrile Type wie Matthias wär’ das doch mal was Originelles?
Aber: Auto bleibe Auto. Ob er sich mal eben in den BMW hineinsetzen wolle? Was das für ein Gefühl sei?
Auf der Rückfahrt sah Matthias sich die Landschaft im Rückspiegel an, sie glitt hinter ihm weg. Auch die Eische sah er, als er über die Brücke fuhr, und im Vordergarten des Kallroy-Hauses sah er Anita Fitschen Stauden anbinden – die Tante stand daneben: So doch nicht!, sagte sie, so! – Daß Ellinor verweinte Augen hatte, konnte er im Lastwagenrückspiegel nicht feststellen, so groß auch immer der war.
42
V or den Herbstferien mußten noch die Bundesjugendspiele«durchgeführt werden», wie es hieß. Sassenholz war dazu ausersehen. Poggenreich war letztes Mal dran gewesen, und nun erwischte es eben Sassenholz. Auf der vorbereitenden Sitzung im Klubzimmer der«Linde», eine Woche vorher, wurden Bälle auf einer Apothekerwaage gewogen, damit kein Schüler benachteiligt wird, Stoppuhren verglichen und das Beiprogramm besprochen: Kaspertheater für die Kleinen, Volkstanz mit Schifferklavier für die Großen. Die Wettkampfkarten wurden sortiert, männliche Jugend A, Weibliche Jugend B, und es wurde den Kollegen gezeigt, wo was hinzuschreiben ist und: um Gottes willen nicht die Spalten verwechseln! Sonst müssen die ganzen Spiele wiederholt werden! Sodann wurden die Regeln des Völkerballs diskutiert, der seit undenklichen Zeiten in jeder Schule gespielt wurde, in früheren Zeiten«Mordball»genannt.
Auf gemeinsame Turnübungen -«und beugt! und streckt!»- sollte diesmal verzichtet werden, Turnvater Jahn: Die stammten noch aus dem vorigen Jahrhundert, damit mußte endlich Schluß gemacht werden.
Der Schularzt Dr. Feist mußte informiert werden:«Wir gehen in den Wald und pflücken viele bunte Blumen…»Und auch den Fotografen Wacker nicht vergessen, sonst sucht man in der Kreuzthaler Zeitung einen Bildbericht hernach vergebens.«Fruch-saff»wurde bestellt und Milch.
«Ist das klar?»
«Jar.»
Kollege Klein, der ausrichtende Lehrer, war bereits im Trainingsanzug erschienen, die andern rauchten oder nahmen schon mal einen zur Brust. Tagegeld gab es für diese dienstliche Zusammenkunft nicht, obwohl ganztags veranstaltet, in dienstfreier Zeit, und auch keine Reisekostenentschädigung. Da mal nachfassen, fragen kost’ ja nichts.
Matthias hatte in Sport immer eine Vier gehabt.«Kerze»war das äußerste, was er zuwege brachte, ansonsten Radfahren. Oder Rudern… Nicht nur im Sport war er eine Niete, auch zeichnen konnte er nicht, nur ein bißchen Posaune blasen. Allerdings war er imstande, mit zwei Händen einen«ab-ben»Finger zu markieren, konnte mit den Ohren wackeln, und er beherrschte ein spezielles Schielen, wobei die Augen nach außen zeigten. Aber auch damit war nie ein Blumentopf zu gewinnen gewesen, schon gar nicht auf Sportfesten.
Die junge Wirtin in der«Linde», sonst immer so traurig, zwinkerte ihm lustig zu, als sie das Bier brachte. Das hatte mit dem Haar zu tun, das ihm vom Mittagsschlaf her noch in die Höhe stand.
Am Morgen des Wettkampftages sah es mit dem Wetter ungünstig aus. Zeitweilig regnete es ein wenig, dann wieder schien die Sonne – es war zum Haareausraufen. Hin und her telefonieren: sollen wir oder sollen wir nicht?
Man war fürs«Durchführen». Nächste Woche ist das Wetter womöglich noch schlechter. Man kann ja nie wissen. Also ran an den Speck, dann haben
Weitere Kostenlose Bücher