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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Wasser der Eische verdoppelt, vielleicht hätte sich Ellinor mit der Tante versöhnt bei dieser Gelegenheit, hätten am Fenster gestanden, sich an den Händen gefaßt und die Irrlichter verfolgt, die sich im Wasser widerspiegelten. An die eigene Kindheit zurückgedacht und dann versöhnt.

    Matthias dachte nicht an seine Kindertage, der hatte zu tun damit, daß die Ordnung eingehalten wurde -«Die Taschenlampen ausmachen! »-, und darauf achtzugeben, daß ein wenig von der Dämmerungsromantik sich behauptet gegen den Großknecht da vorn, auch wenn gerade ein Trecker mit Kartoffeln vorüberknattert, damit also etwas zurückbleibt im Gedächtnis der Kinder, daß sie im Alter an die Kindheit denken und sagen: Das war eine schöne Zeit, und was hatten wir für einen netten Lehrer! Hilfreich war es, daß Marianne den Zug immer wieder mal ablief und ihm genauestens Mitteilung machte, was ganz vorn oder ganz hinten vor sich geht. Sie glaubt, daß die sich da schubsen… – Es war zu hoffen, daß der Bürgermeister des Wegs käme und es miterlebte, was hier an Dorfgeist und Brauchtum lebendig erhalten wird, aber der war sicher gerade woanders. Na, irgend jemand würde es ihm schon mitteilen, damit war zu rechnen. Vielleicht hätte man ja auch zum Gemeindebüro wandeln können und dort ein Ständchen bringen:
    Ich geh’ mit meiner Laterne
und meine Laterne mit mir…
    Und der Bürgermeister hätte dann so am Fenster gestanden, seine Enkeltochter auf dem Arm, gedacht: Schau an, oder: kiek an, es hat alles seine Richtigkeit.
    «Nicht so schnell!»wurde gerufen, weil sich die Kinder gegenseitig auf die Hacken traten, und«Nicht so langsam!», weil sie zurückblieben und irgendwelchen Jokus trieben, und Marianne kam wieder und wieder gelaufen: Ob sie die aufschreiben soll? Nun donnerten drei Lastwagen mit Kies vorüber, das war ja eine Angstpartie sondergleichen! – Matthias hielt die beiden Kleinen fest an der Hand, kleine feuchte Affenhände, und es huschte denn doch eine vage Erinnerung durch sein Gehirn, an die Mutter, die ihn mit dem Dienstmädchen hatte gehen lassen, mit einer viel zu großen Laterne, einmal um den Block, ein an sich ganz nettes Mädchen, das sich dann allerdings in der Ladentür des Bäckers mit ihrem Freund getroffen hatte, und er hatte ein paar Schritte weiter gehen müssen und stehenbleiben mit dem Dings, wie ein Nachtwächter, und warten, bis sie fertig sind.

    Jetzt kam ihnen ein böser Mann entgegen, er hatte sich im Gasthaus erquickt, und nun stieß er die Kinder zur Seite, spuckte aus und packte Matthias bei der Jacke und schimpfte irgendwas von«keine Ahnung haben»und«erst mal grün hinter die Ohren werden… »Das war der Kassenwart von der Partei der Heimatlosen und Entrechteten, Ortsgruppe Sassenholz, ein durch und durch jähzorniger Mensch, der konnte mit seinem Schicksal nicht zurechtkommen, an der Schlawe hatte sein Vater eine Wassermühle besessen, und nun war er gezwungen, seinen Lebensunterhalt als Stanzer in der Blechfabrik zu verdienen? – Weshalb ihm hier der Weg versperrt wird!, fragte er Matthias, ob das Anstand und Sitte ist?
    Gott sei Dank fing in diesem Augenblick eine der Laternen Feuer, und so konnte der Mann drauf herumtrampeln und die Wut, die er im Bauch hatte, auf diese Weise abreagieren.

    Die Muttis freuten sich, daß der junge Lehrer, der in anderer Hinsicht noch nicht soviel Erfahrung gesammelt haben mochten, die alte Tradition wiederaufnahm und mit ihnen den Laternengang durchs Dorf machte, obwohl er aus dem Osten kam, wo es wahrscheinlich ganz andere Gebräuche gab, Bänkelsängereien und Haselnußscherze irgendwie. Und bei dieser Gelegenheit steckten sie ihm, daß sie gar nicht gedacht hätten, daß die Kinners so schnell Lesen bei ihm lernten, sie hätten zuerst gedacht, das wird nix mit diesem Mann, wie der schon aussieht, und nicht raucht und nicht trinkt?… Warum er die Posaune nicht mitgebracht habe, fragte die Mutter von Ursula, das klänge immer so schön, die alten Lieder, abends, wenn das so über das Dorf schallt, sie sage immer zu ihrem Mann: Horch mal, der Lehrer spielt wieder auf der Posaune.
    Frau Schmauch habe das auch immer ganz nett gemacht, mit dem Laternenumzug, aber sie sei in der Partei eine große Nummer gewesen, in der Frauenschaft ein As. Decken sticken lassen mit Hakenkreuzen drauf und so weiter.
    Ob er sie nicht mal die Hand liest, fragte die Mutter von Ursula, und sie hielt ihm tatsächlich die Linke hin, und sie bestimmte ihre kleine

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