Heile Welt
und hatte ihn wieder ins Bett geschickt.
Matthias nahm seine Posaune und spielte, so schön er nur konnte:«Guten Abend, gute Nacht», damit die Leute im Dorf sagen würden: Seid doch mal still…, horcht mal, der Lehrer spielt wieder auf seiner Posaune…
Aber dann mußte er plötzlich wieder an die Zeichenmappe denken, o Gott! Wenn man ihm draufkam?
Er brach sein Gute-Nacht-Lied ab und stellte die Posaune in die Ecke und warf sich aufs Bett und schlug sich vor den Kopf.«Alles habe ich verspielt!»Warum, warum hatte er die Mappe nicht sofort mit nach oben genommen? Und dann führte er Selbstgespräche vor einem imaginären Untersuchungsausschuß, der ihn des Diebstahls bezichtigte, der Veruntreuung oder Unterschlagung, ja der Komplizenschaft. Am besten alles abstreiten, dachte Matthias, im Ernstfall den Leuten frech ins Gesicht lügen. Wer wollte es ihm denn beweisen, daß ihm Ellinor eine Mappe zugesteckt hatte? Sich dumm stellen:«Bilder? – Davon weiß ich nichts.»
Am Ende hatte er sich gar bei irgendwelchen Manipulationen mitschuldig gemacht? Das heimliche Beiseiteschaffen von Vermögenswerten zum Zwecke betrügerischer Aneignung? War das strafbar? Würde er Ellinor dann nicht irgendwie decken müssen?
Nicht einmal angesehen hatte er sich die Bilder!
«Das wird eine schöne Scheiße gewesen sein!»sagte er laut.
Als Carla dann kam, in Gummistiefeln und Strickjacke, saß er bewegungslos auf dem Bett.«Du bist ja heute so anders?»sagte sie und setzte sich neben ihn.«Hast du was?»- Er schwieg, und dann sagte er zu ihr:«Heute geht es nicht…», und schickte sie weg. Es war noch nie passiert, daß er sie wegschickte, sie wußte gar nicht, wie sie das machen sollte: wieder weggehen, wo sie doch gerade eben erst gekommen war? Aber er sah wohl sehr düster aus, so daß sie sich nichts weiter getraute. Sie machte eine Bewegung, als ob sie ihm über die Wange streichen wollte, aber daraus wurde nur ein leichter Schulterschlag. Sah die Welt denn morgen wieder anders aus?
… und wenn die ganze Erde bebt
und die Welt sich aus den Angeln hebt:
Wir fürchten uns nicht!
Als sie gegangen war, dachte er: schade. Zurückholen wär’ nicht gegangen. Und dann saß er da mit seinem Talent.
«Vielleicht hätte ich ja doch an die Hermann-Sulzbach-Schule gehen sollen», dachte er.
45
D er Tag begann damit, daß die Kriegerwitwe in die Klasse gestürmt kam. Sie kann heute den Amerikaner und den Schmalzkringel nicht wie sonst jeden Tag rumbringen, weil die Bäckerei einen Stromschaden hat, rief sie.
Matthias hatte am Vortag mit den Kindern einen Gang über den Friedhof gemacht, und nun wollte er mit ihnen über den Tod sprechen – die Seele, wo die«abbleibt», das erörterten sie grade, als die Frau da was von Schmalzkringeln rief.
Luers meinte, der Sarg sei ja zugeschlossen, da könne die Seele ja gar nicht raus, das war ihm ein großes Rätsel, wogegen Gitte der Ansicht war, da kämen dann ja Menschen, die machten Löcher für Blumen, und aus den Löchern könne denn die Seele ja rauszischen. So standen die Dinge.
Matthias hatte den«Unsere Helden»-Rahmen an die Tafel gehängt, das war sein«Einstieg»in das Thema. Das kriegte die Kriegerwitwe sofort mit, und sie zeigte auf ihren Mann, dritte Reihe, zweiter von links, ein junges Kerlchen, zu dem man früher«Schnäpser»gesagt hätte, 1942 in Jugoslawien geblieben. Sie wunderte sich, daß hier über die toten Soldaten gesprochen wurde. Sie selbst mochte an ihren Mann nur noch selten denken. Nur anderthalb Jahre verheiratet und nun auch schon zwanzig Jahre her… Das rechne sie dem jungen Lehrer hoch an, sagte sie zu den Kunden, denen sie hernach das Grob-und Feingemengte vorbeibrachte, daß hier in Klein-Wense das Andenken der Gefallenen hochgehalten wird. Auch auf dem geselligen Abend der Heimatvertriebenen und Entrechteten berichtete sie davon. Vielleicht kriegte man ihn ja doch noch rum, daß er eintritt in diese Partei. Als sie dann fort war, konnte weiter über die Seele gesprochen werden und wo sie«abbleibt».
Was die Schmalzkringel anging und die Amerikaner: Matthias bekam sie nun schon seit einem halben Jahr jeden Tag in die Küche gelegt. Ob er denn nie was braucht, hatte die Frau zu ihm gesagt, und da hatte er aus Mitleid den Kuchen geordert, jeden Tag in die Küche zu legen, damit er nachmittags was zum Kaffee hat. Jeden Tag, außer Sonntag natürlich. Er legte das Zeug zur Seite, und wenn ein Karton voll war, warf er das in die Eische.
In
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