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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die Mittagsruhe hinein platzten die Leute aus Bochum. Sie wollten die Kugeln abholen. Hätten sich gern angemeldet, wie sie sagten, aber hier wär’ ja telefonisch nichts zu machen. Klein-Wense stehe in keinem Telefonbuch, und der Lehrer schon gar nicht. Sie bildeten eine Kette und warfen sich die Kegelkugeln zu, wie die Maurer ihre Steine. Machten dabei Witze.«Alle neune!»wenn eine hinfiel, und: Das geht ganz schön auf die Muskeln.
    Matthias zählte mit, er war erstaunt, daß das so viele waren, zwanzig, dreißig Stück, und immer kamen noch welche zum Vorschein. Der Lieferwagen sackte hinten direkt weg von dem Gewicht.
    Ob sie nicht noch auf einen Sprung reinkommen wollten, fragte er sie zum Schluß, Tasse Kaffee trinken, aber nein, das wollten die Leute nicht. Einer von ihnen stellte sich in den Flur, an die rostige Flurgarderobe, und zählte ihm das Geld hin. Ein ganz schöner Batzen, eigentlich viel zuviel… Daß man die Kugeln mit Gewinn an einen Innenarchitekten verkaufen würde, sagte der Mann nicht.«Was macht die schöne Ellinor?»fragte er im Hinausgehen. Das mochte der liebe Himmel wissen.

    Am Abend gab es dann ein Rufen um das Haus, die Seglerkameradschaft wollte mal nach dem Rechten sehen: Wo kam man denn in das Haus rein? Vorne zu und hinten zu? Keine Klingel? Was ist das denn für eine Wirtschaft?
    Ihre Boote lagen längst wohlverpackt unter diversen Persennings auf gemieteten Winterplätzen. Zeit also, einen Besuch zu machen bei dem neuen Kollegen, der ja schon gar nicht mehr so neu ist, was das eigentlich für eine Type ist, fährt immer mit dem Fahrrad durch die Gegend, sammelt alten Kram?
    Sie strömten in die Zimmer hinein und öffneten alle Schränke und Schubladen: Was iss denn diss? Was iss denn das? Nahmen Bücher aus dem Schrank, klappten die kostbaren Karten aus den Reisewerken aus, daß sie einrissen – oh! Schnell wieder wegstellen… Aber, so rüde sie sich auch gaben, im Prinzip gingen sie behutsam vor. Die blauen Teller im Tellerbord, zum Beispiel, zogen sie zwar der Reihe nach heraus, aber eben sehr vorsichtig. Über das Kallroy-Bild, das neben dem Tellerbord in der Veranda hing, lachten sie sehr. Aber daß so was wertvoll ist, war ihnen ohne weiteres klar.

    Er hätte noch ein altes Gesangbuch bei sich rumliegen, das könne Matthias haben, sagte einer. Solle er es ihm rumbringen?

    Die Männer setzten sich in die Veranda, die soliden Eichenmöbel und die Truhe von Jungfer Lucie. Der blanke Salon war nicht ihr Fall, den nahmen sie nur einmal kurz in Augenschein.
    Matthias mußte Bier holen, und auch Schnaps wurde nicht verschmäht.
    Die drei hatten gedacht: Dieser Kerl da in Klein-Wense, immer so still und freundlich, was macht der bloß, was macht der bloß? Und da wären sie eben in ihr Auto gestiegen und wären hergefahren. Wie Matthias das findet, fragten sie ihn, daß sie ihn hier einfach mal besuchen?
    Prost, wurde gesagt, die Seemannspfeifen wurden mit Krüllschnitt gestopft, und dann präsentierten sie ihm den herrlichsten Klatsch der ganzen Börde. Der Kollege Frohriep mit seinem«Frühling, ja, du bist’s»wurde nachgemacht, und Rennenfranz mit seinen Bildern, daß er tatsächlich welche loswird, ab und zu, zum Tag des Baumes zum Beispiel, oder wenn im Kreis einer pensioniert wird. Vor einigen Jahren hatte man ihn sogar mal in einer Ausstellung in der Kreuzthaler Heimatstube gewürdigt, bei der Eröffnung war er dann mit Baskenmütze hin und her gelaufen. Der Gauguin des Landkreises.

    Der älteste in der Kameradschaft der drei Segler, ein großer Mann mit festem Gesicht, der das Sagen hatte, ließ keinen Zweifel daran, daß man Matthias hier in Klein-Wense als irgendwie zugehörig ansah, zu der Kameradschaft, obwohl kein Segler und wohl auch nie dafür zu gewinnen. Der hatte es entschieden: Dieser Typ ist zu akzeptieren. Andere wurden auch akzeptiert, aber nicht so voll und ganz wie Matthias. Die andern beiden Segler schlossen sich der Meinung ihres Bosses an, die waren ganz zufrieden, daß sie sich seiner Meinung anschließen konnten, damit waren sie immer gut gefahren, auch beim Segeln.
    Der herrlichste Klatsch kam zur Sprache, alle Lehrer der Börde wurden der Reihe nach durch den Kakao gezogen, daß Stichnoth ein Idiot und der Kommiskopp in Westereistedt eigentlich ganz in Ordnung. Und dann kam«Egon»an die Reihe, was der für verschiedene Vögel hätte.«Chacun, wie ich immer sage, nach seinem Geschmack.»Daß sie dem mal in Travemünde begegnet seien, in

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